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Wie ein Flügelschlag

Wie ein Flügelschlag

Titel: Wie ein Flügelschlag
Autoren: Jutta Wilke
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Wenn ich hier fertig bin, bringe ich sie um. Eigenhändig.
    Noch vierundzwanzig Runden.

    I came to win, to fight …

    Rihanna in meinen Ohren gibt mir den Takt vor.
    Noch dreiundzwanzig Runden.
    »He, Jana. Viel Spaß noch!«
    Ich beiße die Zähne zusammen. Drehe die Lautstärke höher.

    I came to fly …

    Halt dich da raus, Nora. Sonst bring ich dich gleich mit um.
    Noch zweiundzwanzig Runden.
    Ich schaue den anderen nach. Meine Finger sind steif vor
Kälte. So gut es geht, ziehe ich die Ärmel meines Sweatshirts
über die geballten Fäuste. Meine Handschuhe sind spurlos verschwunden.
Wieder mal.
    »Heute gibt's Rührei. Soll ich deine Portion gleich mitessen?«
    Bea. Die frisst doch sowieso schon für drei. Nur nicht reagieren.
Laufen. Einfach weiterlaufen und nicht hinhören. Die
anderen interessieren mich nicht. Mir geht es nur um Melanie.
Melanie Wieland.
    Noch einundzwanzig Runden.
    Sie hatte versprochen zu kommen. Hatte versprochen, mir
zuzuhören. Die halbe Nacht habe ich wach gelegen, mir die
Worte zurechtgelegt, einen Ausweg gesucht. Aber es gibt nur
diese eine Möglichkeit.
    Noch zwanzig Runden.
    Wir hatten nicht miteinander gesprochen, aber ihre SMS war
eindeutig. Okay, lass uns reden. Ich komme zur Bushaltestelle. Mel
    Die anderen trafen sich auf dem Schulhof. Die Haltestelle war
eine gute Idee. Dort in dem Wartehäuschen würde uns niemand
sehen.
    Ich war bereit gewesen. Hatte meine Entscheidung getroffen.
Fragte mich inzwischen sogar, warum ich so lange dafür gebraucht
hatte.
    Ich hasse dieses Stadion. Es ist stockdunkel. Flutlicht gibt
es nicht. Und der Untergrund ist vereist vom festgetretenen
Schnee. Zehn Kilometer hat Drexler mir aufgebrummt. Zehn
Kilometer, hübsch aufgeteilt in 400-Meter-Runden. Sechs Runden
habe ich schon hinter mir. Fehlen nur noch neunzehn Runden
auf dieser verdammten Bahn.
    Mein Atem malt weiße Wolken in die Luft. Der Schnee
knirscht unter meinen Füßen. Es ist immer noch dunkel, und
ich muss höllisch aufpassen, dass ich nicht ausrutsche.
    Noch achtzehn Runden.
    »Geht's ein bisschen flotter? Was soll das werden? Ein Winterspaziergang?
«
    Drexler. Der Duft von frischem Kaffee steigt mir in die Nase.
Verdammt. Wo hat der Kerl jetzt einen Kaffee her? Ich ziehe das
Tempo ein wenig an.
    Noch siebzehn Runden.
    Es fängt an zu dämmern. Die Ersten kommen aus dem Wohntrakt,
frisch geduscht, die Klamotten gewechselt. In der Mensa
brennt Licht.
    »Ich gehe jetzt frühstücken. Du läufst die zehn zu Ende. Und
pass auf, dass du nicht einschläfst dabei.«
    Ich schlucke meine Antwort hinunter. Mit dir lege ich mich
nicht an. Noch nicht. Erst will ich mit Melanie reden.
    »Nächstes Mal kommst du pünktlich zum Morgentraining.
Dafür sorge ich schon, Jana Schwarzer.«
    Ich erreiche die Kurve und höre Drexlers Stimme nur noch
im Rücken. Sie berührt mich nicht. Soll er toben. Wenn er erfährt,
was ich Melanie sagen will, wird er noch viel mehr toben.
In meinem MP3-Player hat Nicki Minaj übernommen. Singt
gegen Rihanna an.

    I wish today it will rain all day …

    Noch sechzehn Runden.
    Melanie. Vermutlich liegt sie noch zu Hause im Federbett und
träumt von Pokalen. Es kommt häufiger vor, dass sie das Morgentraining
schwänzt. Die Externen nehmen es mit dem Frühsport
nicht so genau. Melanie musste noch nie Strafrunden laufen.
Dafür sorgt ihr Vater schon.
    Noch fünfzehn Runden.
    Ich habe kein Problem damit, vor dem Frühstück zu trainieren.
Meistens bin ich sowieso schon wach und die Waldläufe
machen mir Spaß. Im Wald ist es anders als auf der Bahn. Vor
allem im Winter. Die Stämme der grauen Bäume glitzern jetzt
silbern in der Dunkelheit. Der Frost der letzten Nacht hat alles
mit einer schützenden Haut überzogen. Ich stelle mir vor, einer
von ihnen zu sein. Stark und unbeweglich …
    Auch heute war ich früh wach, stand wie vereinbart pünktlich
am Bushäuschen und habe gewartet. Wer nicht kam, war Mel.
Bis mir endlich klar wurde, dass sie mich einfach versetzt hat,
war Drexler mit den anderen längst weg. Ich hab noch versucht,
Mel auf dem Handy zu erreichen. Ohne Erfolg. Schließlich hab
ich nichts mehr gemacht. Nur gewartet. Als Drexler mit der
Gruppe aus dem Wald zurückkam und mich mit Kopfhörern im
Ohr an der Bushaltestelle sitzen sah, ist er explodiert. Hat total
die Kontrolle verloren und rumgeschrien. Die anderen standen
dabei und grinsten. Dann hat mich Drexler auf die Bahn geschickt.
    Noch vierzehn Runden.
    Der Schweiß läuft mir übers Gesicht, meine
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