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Wie die Iren die Zivilisation retteten

Wie die Iren die Zivilisation retteten

Titel: Wie die Iren die Zivilisation retteten
Autoren: Thomas Cahill
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erreicht und sich, genau
    gegenüber der Themsemündung, in die Nordsee ergießt. Kehren wir
    in die Alpen zurück, erkennen wir einen weiteren Fluß, der aus einem kleineren See nördlich von Konstanz entspringt und mehr als doppelt so lang in östlicher Richtung verläuft, bis er ins Schwarze Meer fließt.
    Das ist die Donau, Europas längster Fluß (nach der Wolga). Nördlich 15
    und östlich dieser beiden Alpenflüsse leben die Barbaren. Im Süden und Westen liegt Romania, das zu seiner Zeit größte und mächtigste Reich der Menschheitsgeschichte.
    Doch nicht die Allmacht und Ungeheuerlichkeit dieses Reiches, das
    »die gesamte zivilisierte Welt« umschloß, sind die Merkmale, die uns auffallen würden, kreisten wir an diesem schicksalhaften Tag über den Mittelmeerländern. Genau das Gegenteil von Stärke böte sich
    unserem Blick: Verwundbarkeit, besonders in geographischer Hin-
    sicht. »Wir leben um ein Meer herum«, hatte der scharfsinnige Sokrates seine Zuhörer ermahnt, »wie die Frösche um einen See«. Bei allem Glanz der römischen Fahne, aller Macht des römischen Stiefels und der Ausdehnung der römischen Straßen – das ganze Reich klammert
    sich wie die Sandburg eines Kindes an die Mittelmeerküste und
    wartet darauf, ins Meer gespült zu werden. Vom fruchtbaren Gallien und Britannien im Norden bis zum ergiebigen Niltal im Süden, vom
    felsigen Ufer Iberias im Westen bis zu den verdorrten Küsten Kleinasiens wenden sich alle Provinzen dem großen Meer zu, dem Medi-Terranea – dem Meer der Mittleren Erde. Und wenn sie sich dem
    Zentrum ihrer Welt zuwenden, kehren sie allem, was hinter ihnen
    und dem Römischen Wall liegt, den Rücken zu. Sie wenden sich ab
    von den Barbaren.
    Die Römer konnten sich nicht vorstellen, daß Rom jemals unterge-
    hen würde: Seine Mauern waren uneinnehmbar, verankert in einer
    sagenumwobenen Vergangenheit und seit elf Jahrhunderten und
    länger weitergebaut. Natürlich gab es die Propheten. Irgend jemand, in der Regel leicht angetrunken, kam mit Sicherheit wieder mit der alten Leier: der Prophezeiung von den zwölf Adlern, die jeweils ein Land darstellten und uns nur noch – unbeholfene Finger zählten die Dekaden in eine Weinlache – siebzig Jahre gaben! Plus minus eine
    Dekade! Heiteres Gelächter über soviel Dummheit. Doch genau
    siebzig Jahre später sollte das Reich verschwunden sein.
    Das ewige Rom, elf Jahrhunderte alt, sah seinen Untergang nicht
    voraus. Die Theorien über die Gründe seines Untergangs jedoch sind sehr alt. Zwei Dutzend Jahre nach der römisch-barbarischen Begegnung am Rhein wird Augustinus – Bischof von Hippo, der zweiten
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    Stadt des römischen Afrika – auf dem Sterbebett liegen und eine
    weitere Barbarenwelle gegen die Stadtmauern drängen hören. Er hat gerade erst die letzten Seiten seiner großen Schrift zur Verteidigung des Christentums – Der Gottesstaat – geschrieben; darin widerspricht er den römischen Heiden, die hinter den barbarischen Angreifern die
    alten Götter Roms erkennen wollen, deren Zorn darüber, von christlichen Konvertiten verlassen worden zu sein. (Nein, beharrt Augustinus, es ist nicht das Christentum, sondern das lasterbeladene Heidentum, das das Reich in den Ruin stürzt.) Neun Jahrhunderte später, zu Beginn der Renaissance, als in ganz Italien eindrucksvolle Beispiele römischer Ingenieur- und Bildhauerkunst von Archäologen aus dem
    Boden befreit werden, fragt sich jedermann, was aus den kulturellen Giganten geworden sein mag, die all diese Dinge erbaut haben. Petrarca, der toskanische Dichter und Lehrer, den man zu Recht den
    Vater des Humanismus nennt, führt den Begriff »Untergang« wieder
    ein und gibt, Augustinus folgend, den innerhalb des Reiches gemachten Fehlern die Schuld. Machiavelli, der eineinhalb Jahrhunderte
    später zu einer weniger geistigen als vielmehr zynischen Zeit schreibt, gibt den Barbaren die Schuld.
    Der erste Band von Edward Gibbons Werk The History of the Decline and Fall of the Roman Empire, der 1776 erschien, zog sehr viel mehr lebhaftes Interesse auf sich als die Nachrichten aus den problemträchtigen Kolonien in Nordamerika. »Der Untergang Roms«, schrieb
    Gibbon, »war die natürliche und unausweichliche Folge übermäßiger Größe.« Solch eine Darstellung paßte gut in die kühle und rationale Stimmung jener Zeit. Doch als die eher konventionellen englischen Gentlemen des späten achtzehnten Jahrhunderts in Mr. Gibbons
    Abhandlung weiterblätterten, gerieten sie
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