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Wie die Iren die Zivilisation retteten

Wie die Iren die Zivilisation retteten

Titel: Wie die Iren die Zivilisation retteten
Autoren: Thomas Cahill
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in Wallung. »Da das Glück eines zukünftigen Lebens das große Ziel der Religion ist«, fuhr er fort,
    »stellen wir ohne Überraschung oder Empörung fest, daß die Einführung oder zumindest der Mißbrauch des Christentums einigen Ein-
    fluß auf den Verfall und Untergang des Römischen Reiches hatte. Der Klerus predigte erfolgreich die Doktrin von Geduld und Feigheit; die aktiven Tugenden der Gesellschaft wurden abgelehnt, die letzten
    Reste militärischen Geistes im Kloster vergraben; ein großer Teil des 17
    öffentlichen und privaten Reichtums wurde den fadenscheinigen
    Anforderungen von Wohlfahrt und Andacht geweiht, und der Sold
    der Soldaten wurde unter den nutzlosen Massen beiderlei Geschlechts verteilt, deren einziges Verdienst Abstinenz und Keuschheit waren.«
    Man reagierte schockiert und veröffentlichte Entgegnungen, und
    Mr. Gibbon rechtfertigte sich eiligst in seiner Vindication. Doch in Wahrheit war seine Theorie keineswegs neu und kaum von der Hei-dentheorie zu unterscheiden, gegen die Augustinus mehr als dreizehn Jahrhunderte zuvor den Knüppel geschwungen hatte. Und sie war
    auch nicht ohne Verdienst. Doch es ist hilfreich, Gibbons eigene
    Geschichte etwas genauer zu kennen: Mit sechzehn wurde er wegen
    seiner glühenden Verehrung für den Katholizismus von seinem
    wütenden Vater in die Schweiz geschickt, wo man ihn zum Protestantismus zurückführte (damals der calvinistischen Variante) und beinahe gleichzeitig zur kompromißlosen Skepsis gegenüber Voltaire, dem er dort begegnete. Der nachhaltige Effekt so vieler – und gegensätzlicher – jugendlicher Leidenschaften für den erwachsenen Mann ist
    leicht zu erahnen. Diese frühen Deuter – zunächst die heidnischen Kritiker des Christentums, dann Augustinus, Petrarca, Machiavelli und Gibbon – haben die Grenzen für alle späteren Interpretationen gesetzt: Rom fiel aus innerer Schwäche, sozialer oder geistiger Natur; oder Rom fiel unter dem äußeren Druck der Barbarenstämme. Was
    wir mit Sicherheit sagen können, ist, daß Rom langsam unterging und daß die Römer viele Jahrzehnte hindurch kaum bemerkten, was um
    sie her vor sich ging.
    Hinweise darauf, wie blind die Römer waren, finden sich in der
    Szene am gefrorenen Rhein. Die Legionäre am römischen Ufer sind
    davon überzeugt, daß sie die Oberhand haben und immer haben
    werden. Einige unter ihnen sind zwar nur halbzivilisierte Rekruten, die man auf dieser Seite des Flusses aufgestellt hat, aber sie nennen sich nun Römer und sind damit Erben einer beinahe zwölf Jahrhunderte alten Zivilisation; von Viehzucht, Ackerbau, Weinbau, Garten-bau, Küche, Künsten, Literatur, Philosophie, Recht, Politik und
    Kriegskunst -und all der Ordnung, die mit diesen Bestrebungen
    einhergeht. Nie hatte die Welt etwas so Dauerhaftes, Tiefgreifendes 18
    und Weitreichendes erlebt wie die Pax Romana, den Frieden und die Verläßlichkeit der römischen Zivilisation. Betrachten wir die römischen Soldaten, bemerken wir die unterschwellige Autorität in ihrer bloßen Anwesenheit, den Glanz jedes einzelnen, die Angemessenheit ihrer Haltung – sie sind einfach fabelhaft. Mehr noch, jede Geste, die gesamte Ausrüstung hat ihre Ästhetik. Alle Details sind – ad unguem, wie sie sagen würden, bis zu den Fingerspitzen – bedacht worden, so wie ein Bildhauer die Glätte und Perfektion seiner fertigen Marmor-statue prüft. Ihr Haar ist ihrer Kopfform entsprechend geschnitten; sie sind glatt rasiert, um die resolute Linie des Kinns zu betonen; ihre Rüstung – von den sicheren und wohlgeformten Brustharnischen bis
    zu den Bewegungsspielraum gewährenden Röcken – ist mit Rücksicht
    auf die Formen und Bewegungen des Körpers entworfen worden und
    erinnert an die Proportionen griechischer Statuen. Selbst das Essen in der Messe ist nicht nur dem Geschmack, sondern auch dem Auge
    angenehm. Soeben bereitet der architrichnus – der Koch – die Karotten vor: Er schneidet jede zweimal längs ein, so daß schlanke, längliche Dreiecke entstehen.
    Nun blicken wir über den Fluß hinüber zu den Barbarenstämmen,
    die sich im schräg einfallenden grauen Winterlicht wie die Gestalten eines Alptraums zusammenrotten. Ihre Haare (auf dem Kopf und im
    Gesicht) sind ungeschnitten, mit Fett abscheulich gezähmt und zu
    scheußlichen Frisuren geflochten. Ihre Körper sind mit Schmuck behängt und wild angemalt. Einige der Männer sind muskulös bis zur Deformation, ihre Beine sind komischerweise in diese Gewänder mit
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