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Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Siesta italiana: Meine neue italienische Familie

Titel: Siesta italiana: Meine neue italienische Familie
Autoren: Chris Harrison
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    Zwei Tage an einem – Mattina
     
     
     
     
     
    D er Wassermelonenverkäufer des weißen Fischerdorfs am italienischen Stiefelabsatz steht bei Sonnenaufgang auf. Mit nur einer Hand am Lenkrad knattert der erfahrene Kavalier mit seinem verrosteten Laster durch die verwinkelten Gassen. In seiner anderen Hand hält er ein Mikrofon, das mit einem Lautsprecher auf dem Wagendach verbunden ist, und lässt seinen Morgenruf » Meloni, meloni, meloni !« mit einer Lautstärke erschallen, dass er selbst dickste Zementmauern durchdringt und die Einwohner von Andrano noch im Halbschlaf auf seine pralle, reife Ware einstimmt.
    Langsam gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit. Zuerst sehe ich Danielas Füße, ihre Knie und Schenkel, dann ihren sich wiegenden Po, dem anzusehen ist, mit welcher Anstrengung sie die Rollläden hochzieht. Als die serranda oben ist, fluten Lärm und Licht ins Zimmer.
    »Hast du von Wassermelonen geträumt?«, fragt sie und kommt schweißnass zurück ins Bett.
    »Hat noch nie jemand versucht, den Kerl zu erschießen?«, frage ich verschlafen.
    »Man gewöhnt sich daran«, sagt sie lachend. »Ich geh und kauf eine, was meinst du?«
    »Willst du dir vorher nicht erst noch was anziehen?«, rufe ich ihr hinterher. Aber sie ist schon im Nebenzimmer und kurbelt dort die Rollläden hoch, während ein süditalienisches Dorf zum Lärm eines turbulenten, aber durchaus nicht hektischen Lebens erwacht.
    Während ich allein in der schwülen Morgenhitze liegen bleibe, erkunden meine Ohren ein Dorf, das meine Augen erst noch zu Gesicht bekommen werden. Eine campana beginnt zu läuten, leise, aber ganz in der Nähe, und ich zähle jeden trägen Glockenschlag, bis dieses Geräusch von Stimmen auf der Straße übertönt wird. Ein Streit vielleicht, zwischen Männern, die einen Dialekt sprechen, den ich nicht verstehe. Ich höre die Glocke noch einmal läuten, bevor ein Auto hupt. Ein anderes antwortet. Fahrer verständigen sich. Noch einmal die Glocke, bevor Fensterläden knallen und ein Traktor vorüberrattert. Ein Fußball hüpft über Zement. Wieder die Glocke. Wie spät ist es also? » Bravo! « – Kinder bejubeln ein Tor. Und dann das fürchterliche Getöse einer beschleunigenden Vespa – ein 50-Kubik-Motorrad, das seine fehlenden PS durch Lärm wettmacht. Die campana schweigt. Ich glaube, es ist acht Uhr.
    Eine Viertelstunde später schlägt die Glocke erneut – obwohl ich von dem langen Flug müde bin und nicht im Geringsten vorhabe, aufzustehen -, nur um nach acht ausdauernden Schlägen eine weitere Glocke in einer höheren Tonlage erschallen zu lassen – es ist Viertel nach acht. Um halb neun kehrt der Wassermelonenverkäufer zurück, das wohlklingende Läuten der Bronzeglocke kann seinem krächzenden Lautsprecher nicht standhalten. Aber um Viertel vor neun höre ich in einem seltenen Augenblick der Stille acht Schläge, gefolgt von dreien in einer anderen Tonlage.
    Andranos campana , rechne ich, schlägt 768 Mal am Tag. Ich kann meine Uhr also getrost wegwerfen.
    Ich fange an, den Trubel und die wiederkehrenden Rhythmen zu genießen. Ich achte darauf, wie lang die Stille dauern kann, und muss lachen, als bereits wenige Sekunden später eine ältere Frau einem Kind lautstark irgendeine unverständliche Anweisung oder Warnung erteilt. Der Lärm scheint ein festes Morgenritual zu sein, an das ich mich bestimmt noch gewöhnen werde. Aber das Kreischen, das nun folgt, ein lang andauerndes, gequältes Aufheulen, erinnert eher an Folter. » Meeeelanzaaneeciicooooorie!!« Irgendwas stimmt hier nicht.
    Es ist der Schrei eines Mannes, ein unerträgliches Lamento, das jeden Winkel des Dorfes durchdringt. Ich springe aus dem Bett und will nach Daniela suchen, als der Schwanengesang, bei dem einem das Blut in den Adern gefriert, erneut anhebt. «Meeeelanzaaneeciicooooorie!!« Ich eile in die Küche und überrasche sie dabei, wie sie an einem vornehm gedeckten Tisch sitzt und sich mit einem ellenlangen Messer über eine Wassermelone von der Größe eines Medizinballs hermacht.
    » Che c’è? «, fragt sie und blinzelt mich an.
    »Ich glaube, irgendjemand steckt in Schwierigkeiten. Hörst du das nicht?«
    »Was denn?«
    Wie auf Kommando schreit das Opfer erneut seinen Schmerz heraus.
    »Meeeelanzaaneeciicooooorie!!«
    »Das da.«
    Sie lacht und kommt auf mich zu, um mich zu umarmen, allerdings erst nachdem sie das Messer weggelegt hat.
    »Das ist Rocco. Ein Gemüseverkäufer. Er hat die besten Auberginen und
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