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Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt

Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt

Titel: Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt
Autoren: Emmy Abrahamson
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Augen sieht er aus wie der HJ entsprungen.
    »Deine letzte Chance vor den Sommerferien«, sage ich, während drei Jungs vom Sportzweig an uns vorbeitraben.
    »Al-iiii-cjaaa, wo willst du hin?«, ruft einer, meinen Stockholmer Tonfall nachäffend, und die zwei anderen kriegen sich nicht mehr ein vor Lachen.
    Es ist schon über ein Jahr her, dass wir von Stockholm aufs platte Land nach Skåne gezogen sind, aber für die Typen vom Sportzweig ist mein Dialekt immer noch das Komischste, was sie sich vorstellen können. Nanna, unsere Künstlernachbarin, wird immer noch die Stockholmerin genannt, obwohlsie vor 25 Jahren hergezogen ist. Dabei stammt sie nicht mal aus Stockholm.
    »Idioten«, sagt Natalie.
    »Wenigstens fragen sie nicht mehr, ob ich schon mal eine Kuh gesehen habe«, sage ich.
    Die stille Marie sagt wie gewöhnlich nicht viel. Sie stammt aus Vietnam, und das Adoptionsbüro wusste nicht mal, wann sie geboren ist. Als ihren Geburtstag feiern sie jetzt den Tag, an dem sie bei ihren Eltern ankam, aber wenn sie volljährig ist, will sie das Datum ändern, weil sie sich wie eine Jungfrau und nicht wie eine Waage fühlt.
    Obwohl wir nie darüber reden, wissen wir alle, dass Maries Adoptivvater ein Alkoholproblem hat und ihre Mutter die meiste Zeit in der Küche sitzt und filterlose Zigaretten qualmt. Wenn Marie mit Natalie und mir unterwegs ist, geht sie immer einen halben Schritt hinter uns wie ein nettes, nur ein bisschen schüchternes Gespenst. Wenn es das Wörtchen »still« nicht gäbe, müsste man es für sie erfinden.
    Natalie ist unsere Zauberfee. So würde sie wahrscheinlich auch bei Ikea heißen, wenn man dort Menschen verkaufen würde. Manchmal schaue ich Natalie an und überlege, ob ich mit schwedischen Eltern auch so überirdisch schön wäre. Natalies Mutter besitzt eine Modeboutique in der Fußgängerzone von Ystad, und ihr Vater pendelt jeden Tag nach Lund, wo er irgendeine wahnsinnig wichtige Stelle an der Universität hat. Natalies Eltern besitzen nicht die normalen zwei Autos, sondern drei.
    »O nein«, sagt Natalie und seufzt.
    Ola Olsson wurde ausgemacht und muss zurück auf diedritte Base. Eine milde Brise pustet genau vor uns ein Dutzend tanzende Löwenzahnsamen in die Luft.
    »Sommerferien!«, ruft Natalie glücklich.
    Ich lächle sie an, obwohl ich tief im Innern traurig bin, dass das Schuljahr zu Ende ist.
    »Und was machst du jetzt über die Ferien?«, fragt mich Natalie.
    Sie selbst wird in der Boutique ihrer Mutter jobben, Marie hilft am Strandkiosk von Sandhammaren aus.
    »Ich … bei uns gibt’s immer noch viel zu tun«, sage ich. »Unausgepackte Kisten und so …«
    Es ist mir peinlich, dass ich keinen Sommerjob habe, aber Mutter hat es mir nicht erlaubt. Sie sagt, ich werde im Leben noch genug jobben müssen, da brauche ich nicht schon während der Schulzeit damit anzufangen. Trotzdem hätte ich lieber auch einen Sommerjob, über den ich mich dann die ganzen Ferien hindurch beklagen könnte. Außerdem käme so auch ein bisschen ein Plan in meine chaotischen Tagesabläufe.
    »Gehen wir nach der Schule Eis essen?«, fragt Natalie.
    Marie sieht auf ihre stille Weise aus, als hoffe sie das doch.
    »Nein, ich muss zur Polizei«, sage ich.
    »Deine Mama?«
    Ich nicke.
    »Mord oder Raub diesmal?«
    »Schwere Misshandlung«, antworte ich. »Begangen an gewöhnlichen Hamburgern.«
    Die Sache mit dem Urin erwähne ich mit keinem Wort. Es gibt Dinge, die mag man selbst seinen besten Freundinnen nicht erzählen.
    Ein Ruf ertönt, das Baseballspiel ist aus.
    Bei Schulschluss sagen Natalie, Marie und ich uns Tschüs wie jeden Tag. Wir werden uns ja morgen schon wiedersehen.
    Dann gehe ich den Surbrunnsvägen hoch in Richtung Polizeiwache. Mutter arbeitet zurzeit als Dolmetscherin für die Polizei von Ystad. Seit wir hierher gezogen sind, hat sie als Altenpflegerin, private Sprachlehrerin und Verkäuferin gearbeitet, und jetzt ist sie also Dolmetscherin. Von all diesen Jobs ist der bei der Polizei der am besten bezahlte, obwohl sie ständig lamentiert, dass die Polizisten auf der Wache die ganze Zeit nur herumsitzen und futtern, weil es außer den zwei Fähren, die täglich zwischen Ystad und Świnoujście in Polen verkehren, kaum etwas gibt, was ihnen Arbeit macht.
    Sie hat mir auch erzählt, wie die Verhöre ablaufen, die sie dolmetschen muss.
    Der Polizist: »Wie heißt er?«
    Mutter (auf Polnisch): »Wie heißen Sie?«
    Der Pole (auf Polnisch): »Sag dem verf… Polizisten, dass ich in meiner
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