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Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt

Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt

Titel: Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt
Autoren: Emmy Abrahamson
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im Westen erfunden. Alles Blödsinn!«
    Ich beobachte Marie, die aber kein bisschen böse zu sein scheint, im Gegenteil: Sie löffelt Suppe und sieht dabei glücklich und zufrieden aus.
    »Mein Cousin ist allergisch gegen Nüsse«, sagt Natalie. »Ich war mal dabei, wie er fast gestorben ist, nur weil ein Stückchen Nuss in seinem Eis war.«
    Mutter tut so, als hätte sie das, was Natalie gesagt hat, nicht gehört. Sie hat Natalie von Anfang an nicht gemocht. Zum Glück hat Natalie es nie gemerkt.
    »Es war richtig unheimlich«, fährt Natalie fort.
    »Schmeckt dir die Suppe?«, fragt Mutter Marie.
    Meine beiden Freundinnen nicken, und ich muss zugeben, dass die Suppe diesmal fast essbar ist, zumindest wenn man dabei die Augen zumacht.
    »Alicja wollte euch keine anbieten.«
    »Ich hätte nicht gedacht, dass ihr hungrig seid«, murmle ich.
    »Sie macht mal wieder eine ihrer bockigen Teeniephasen durch.«
    »Mach ich gar nicht!«, sage ich. Status jetzt: Oh, oh, die Maschine läuft warm!
    »Trinkt dein Vater immer noch?«, erkundigt sich Mutter bei Marie. In derselben Sekunde beginnt die Maschine in mir »pling-pling-pling« zu machen. Status: Burn, baby, burn!
    Marie nickt. Natalie und ich erwähnen nie, nie, nie ihre Situation zu Hause. Ich starre Marie an, aber auch diese vollkommen oberpeinliche Frage scheint ihr nichts auszumachen.
    »Der Mann meiner Cousine Sylwia trinkt auch«, sagt Mutter. »Er ist ein Dreckkerl.«
    »Ein Dreckskerl«, korrigiere ich leise.
    »Genau«, sagt Mutter und nickt.
    »Was macht er denn?«, fragt Natalie.
    »Sylwia hat nie Glück gehabt mit Männern. Ihr erster Mann war Koch auf einem Schiff. Er war verrückt, wie alle Seemänner. Und rasend eifersüchtig. Obwohl er selbst Sylwia nie treu war.«
    Natalie und Marie sitzen ganz ergriffen von der Geschichte schweigend da.
    »Vielleicht sind ja nicht alle Seemänner verrückt und rasend eifersüchtig«, wende ich zaghaft ein. Im selben Augenblickfrage ich mich, warum ich eigentlich das Bedürfnis verspüre, die Seemänner in Schutz zu nehmen. Wahrscheinlich hat es mit dem Bedürfnis zu tun, alle zu beschützen, die Mutter kritisiert.
    »Sylwia hat ihn erst verlassen, als eine andere Frau ein Kind von ihm bekam. Kurz darauf ist sie ihrem jetzigen Mann begegnet. Er war ihr Nachbar, und alle wussten, dass er seinen letzten Job verloren hatte, weil er zu viel getrunken hat. Und wenn er trinkt, wird er gewalttätig.« Mutter schüttelt den Kopf, bevor sie fortfährt: »Aber jetzt habe ich es geschafft, dass Sylwia nach Schweden kommen kann. Es ist ihre einzige Chance, von dem Schwein wegzukommen.«
    »Und was will sie in Schweden machen?«, fragt Natalie.
    »Sie sagt, dass sie als Putzfrau arbeiten kann, und ich werde ihr helfen, einen Job zu finden.«
    »Wird ihre Tochter mitkommen?«, frage ich. Sylwia hat eine dreizehnjährige Tochter, Celestyna, die aber niemand von uns kennt.
    »Sylwia kann sie ja wohl kaum allein in Polen lassen«, antwortet Mutter und schöpft allen noch mal Suppe in die Teller.
    Am selben Abend kommt ein Taxi, das meinen Vater zum Flugplatz bringen soll. Er reist für einen mehrmonatigen Studienaufenthalt in die USA.
    »Pass auf dich auf, mein Herz!«, sagt er und umarmt mich.
    »Mach ich doch immer«, antworte ich.
    »Jetzt fahr schon, damit wir endlich Party machen können!«, sagt Mutter. Aber sie sagt es lieb und mit einem Lächeln.
    Ich stehe noch so lange am Tor, bis ich die roten Rücklichter des Taxis nicht mehr sehen kann. Auf dem Weg zurück ins Haus spüre und höre ich, wie unter meinen Füßen ein Schneckenhaus zerbricht.

4
    »Nicht mal lose Bonbons?«
    Die stille Marie schüttelt den Kopf und hebt den riesigen Behälter für Ketchup aus der Halterung. Sie schraubt die Gummizitze ab, schraubt sie auf einen neuen Ketchup-Behälter und hängt den in die Halterung.
    »Oder Limonade? Oder Hefeteilchen? Oder wenigstens Eis?«
    »Wir können zwischen einem Hamburger oder Fleischbällchen zum Lunch wählen. Aber das ist alles.«
    Marie geht in den hinteren Raum, um den leeren Ketchup-Behälter wegzuwerfen, während ich den Blick den Plastikdosen mit losen Bonbons zuwende, die vor einem der beiden Fenster des Kiosks stehen. In drei bunten Reihen gibt es Sodapops, Himbeer-Lakritze-Totenköpfe, große saure Totenköpfe, Fruchtgeleeratten, Weingummi mit Colageschmack und eine Menge andere leckere Sachen.
    »Es ist unfair«, höre ich mich murmeln.
    Seit Marie erzählt hat, dass sie im Sommer am Strandkiosk jobben
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