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Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt

Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt

Titel: Widerspruch zwecklos oder Wie man eine polnische Mutter ueberlebt
Autoren: Emmy Abrahamson
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denke ich, dass der Sommerurlaub genau so sein sollte: ruhig und ein bisschen langweilig. Ich denke: Hoffentlich passiert nichts Schlimmeres, als dass man sich einen Sonnenbrand holt, sich die Monologe seiner liebeskranken Freundinnen anhört und sich an Erdbeeren überfrisst.
    Als ich zu Hause ankomme, kann ich Mutter erst nicht finden. Ich rufe und laufe durchs ganze Haus, bis ich sie auf dem Dachboden finde, wo sie gerade Kopfkissen bezieht. Unsere zwei rostigen Reservebetten stehen an gegenüberliegenden Wänden des Raumes, und Mutter hat einen großen Flickenteppich dazwischen ausgerollt.
    »Was machst du?«
    »Gut, dass du da bist, du kannst mir helfen«, sagt Mutter und wirft mir einen gelben Bettbezug zu.
    Der Bettbezug ist an mehreren Stellen geflickt, seit sich gleich nach unserem Umzug eine Maus in der Kiste mit der Bettwäsche eingenistet hatte. Als wir den Untermieter endlich entdeckten, war schon die Hälfte der Bettwäsche angenagt und die Kiste voller Papierfitzeln und Vogelfutter, das die Maus aus einer anderen großen Kiste angeschleppt hatte. Mutter hat den Bettwäschezernager mit einer Käfigfalle eingefangen, aber dann brachte sie es nicht übers Herz, das arme Tierchen zu töten. Sie hat die Maus im Garten unserer Künstlernachbarin freigelassen. Daran muss ich denken, als ich den Bettbezug über eine Zudecke ziehe.
    »Stell dir vor, sie kommen endlich«, sagt Mutter.
    Aber ich bin in Gedanken noch so sehr bei der Maus und der Frage, wie sie wohl das Vogelfutter von einer Kiste zur anderen geschleppt hat, dass ich erst gar nicht verstehe,wovon sie redet. Hatte die Maus die Pfoten, die Schnauze oder eine mausgerechte Umzugskiste für den Transport benutzt?
    »Wer?«
    »Sylwia und Celestyna.«
    Sofort lasse ich die Zudecke los.
    »Und wo sollen sie wohnen?« (Sag nicht hier! Bitte sag nicht hier!)
    »Hier natürlich. Wo denn sonst?«
    »Und wann kommen sie?« (Bitte sag nicht morgen! Sag nicht morgen, sag nicht morgen!)
    »Morgen.«

5
    Celestyna und ich stehen im Garten, es fällt ein leichter Nieselregen. Mutter hat mich dazu verdonnert, mich um meine Cousine zu kümmern und ihr das Haus und den Garten zu zeigen. Ich habe sie darauf hingewiesen, dass Celestyna genau genommen gar nicht meine Cousine ist, höchstens eine Großcousine oder Cousine zweiten Grades oder so, weil nämlich Mutter und Sylwia keine Geschwister, sondern nur Cousinen sind, aber da fing ich mir einen Blick von Mutter ein, der mich mitten im Satz verstummen ließ.
    »Und hier steht die Badewanne«, sage ich auf Polnisch.
    Wir stehen neben der hellgrünen Badewanne, die die Hippie-Kommune, die vor uns das Haus bewohnte, im Freien aufgestellt hat. Die Badewanne hat seitlich einen grünen Algenrand, und im Regenwasser, das sich auf dem Boden sammelt, schwimmen tote Blätter, Zweige und Federn. Es ist Juni, aber das Wetter spielt nicht mit, schon seit Tagen bläst ein kalter Wind. Jetzt also auch noch dieser nieselige Regen.
    »Haben alle Schweden die Badewanne im Garten?«, fragt Celestyna.
    Ich denke eine Weile über die Frage nach.
    Dann sage ich: »Nein.«
    Mutter hat Sylwia und ihre Tochter heute Morgen in Ystad von der Fähre abgeholt. Ich war den beiden noch nie begegnet und wusste nicht so recht, auf was ich mich gefasst machen sollte.
    Ich war nicht gerade wild darauf, das Haus mit wildfremden Leuten zu teilen. Trotzdem rührte mich der Gedanke, dass Mutter die beiden aus ihrem polnischen Elend retten wollte. Vor meinem inneren Auge sah ich Sylwia in Kleidern aus den Vierzigerjahren und mit einem dunklen Schal um den Kopf aus unserem alten Volvo steigen. Eine ganze Weile würde sie nur stumm vor unserem Haus stehen, während ihr Tränen der Dankbarkeit, endlich ihrem versoffenen Mann und dem polnischen Kommunismus entkommen zu sein, über die bleichen Wangen liefen. Sie würde mich umarmen, weil ich ein Teil der Rettungsaktion für sie und ihre Tochter war, dann würde sie zum Zeichen ihrer Dankbarkeit anfangen, das Haus zu putzen.
    Als der Volvo dann endlich auf den Hof fuhr, sah ich eine Sylwia, die der aus meiner Vorstellung so gut wie gar nicht entsprach. Die echte Sylwia hat kurze blondierte Haare, deren pechschwarzer Ansatz schon mehrere Zentimeter ausgewachsen ist. Sie ist krankhaft dünn, hat eine graue Haut und große, sich aus den Höhlen wölbende Augen. Sie sieht alt und abgezehrt aus, obwohl sie Mutter zufolge erst knapp über vierzig ist. Als sie ankam, trug sie eine schwarze Lederjacke mit einem schräg
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