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Whitley Strieber

Whitley Strieber

Titel: Whitley Strieber
Autoren: Der Kuss des Vampirs
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das wir hinterlassen haben. Oder die Fundamente von Wat Phra Singh und Wat Chedi Chet Yot – kein menschlicher Baumeister konnte mit solcher Präzision Steine zurechtschlagen. Ver- flucht sollten die Sterne sein für das, was ihrer Rasse widerfahren war und das sie in ihrer eigenen Welt zu Vagabunden gemacht hatte. Gib mir Opium, lass mich rauchen. Schenke mir Vergessen.
    Sie tastete nach dem goldenen Schlüssel ganz unten in ihrer neuen

Handtasche, dem Schlüssel, der ihr Einlass in das Heiligtum im Keller der Moonlight Bar verschaffen würde. Die Tasche war von Gucci; sie hatte sie für 2500 Baht auf dem örtlichen Abendmarkt gekauft. Es war ein Luxusstück von edelster Qualität. Sie brauchte keine neue Handta- sche, doch sie kaufte für ihr Leben gern ein und hatte nicht widerste- hen können. Alle Hüter liebten exquisites Leder, und die Haut von Käl- bern fühlte sich fast wie Menschenhaut an ... und außerhalb der eige- nen vier Wände Menschenhaut zu tragen war ein absolutes Tabu. Ein auserkorenes Opfer könnte etwas bemerken – die Reste einer Täto- wierung oder ein menschliches Muttermal auf deinen Handschuhen oder deiner Brieftasche. Sie selbst trug nie Leder aus Menschenhaut. Menschen mochten ihre Nahrungsquelle sein, aber es waren sensible, bewusste Wesen, und dies musste man respektieren. Doch abgezo- gene Rücken- oder Pobackenhäute ließen sich nun mal sehr leicht gerben und fühlten sich äußerst angenehm an.
    Der samlor-Fahrer beugte sich tiefer über die Lenkstange, als zöge sein Instinkt ihn von ihr fort. Wieder kam ihr der Gedanke, ihn einfach anzuspringen. Sie würde ihn reiten wie einen jungen Ochsen. Er würde schreien und bocken, und es wäre bestimmt ein aufregender Spaß.
    Sein lebendiger Geruch durchdrang die blumensüße Abendluft. Nun fuhr er das samlor in eine enge, stille Seitengasse, die kaum mehr als ein Durchgang war.
    Sie schob sich eine neue Zigarette in den Mund und zündete sie an. Sie näherten sich der uralten Wat-Chiang-Man-Tempelanlage, deren chedi von vier vergoldeten Elefanten-Pfeilern getragen wurde, die in die vier Richtungen der Welt blickten.
    Das samlor hielt an. Tief unter dem chedilag in einem noch nie von Menschen betretenen Gewölbe das uralte hor trai der asiatischen Clans, ein Ort, der erbaut worden war, bevor Siddhartha sich in Bud- dha verwandelt hatte, beziehungsweise bevor Siddhartha überhaupt geboren worden war. »Bleib hier«, sagte Miriam. »Warte, bis ich zu- rückkomme.«
    Er sah zu ihr zurück und nickte knapp. Sie wusste, dass dieser Tem- pel unter den an Geister glaubenden Thais einen unheilvollen Ruf hatte. Er senkte den Kopf; seine Füße spielten nervös mit den Peda- len.
    Ihre Absätze klapperten auf dem feuchten Straßenpflaster, als sie das kurze Stück zu der Tempelanlage hinüberging und den

betrat. Im Innern herrschte tiefe Stille. Die Luft war von Sandelholzduft und dem Rauch einer einzelnen an einem Dachbalken hängenden La- terne durchdrungen, die ihr schwaches Licht auf eine riesige, in der Mitte der kunstvoll ausgeschmückten Gebetskammer liegende Bud- dha-Statue warf.
    Sie zollte dem Buddha Respekt, indem sie die Hände aneinander legte und sich vor der Statue verneigte. Hätten ihre Artgenossen dies gesehen, wäre sie mit den wüstesten Beschimpfungen bedacht wor- den.
    Sie strich dem Buddha über die lächelnden Lippen und klopfte ihm dreimal sanft auf den Mund, worauf mit einem leisen Klickgeräusch der Öffnungs-Mechanismus aktiviert wurde. Es war ein wenig überra- schend, wie sich die Bewegung anfühlte, fast so, als wäre der Schloss- riegel gebrochen. Sie nahm an, dass sie die Geheimtür auch aus eige- ner Kraft hätte aufdrücken können. In Europa oder Amerika wäre man niemals derart achtlos gewesen.
    Sie ging eine steile Wendeltreppe hinunter. Selbstverständlich brauchte sie kein Licht. Sie waren schließlich eine Nacht-Spezies ... was im Zeitalter der Elektrizität schon schwer genug fiel. Wie hatte sich ihr Vater aufgeregt, als die Menschen die Elektrizität entdeckt hat- ten. »Wir hätten sie davon abhalten sollen«, hatte er gesagt.
    Männliche und weibliche Hüter lebten außer während der Schwan- gerschaft – und manchmal auch, bis das Kind aus dem Gröbsten her- aus war – nicht zusammen. Trotzdem konnten sie füreinander tiefe Liebe empfinden, und ihr Vater war nie über Lamias Tod hinwegge- kommen. »Ich merke, dass ich überall auf der Welt nach ihr suche«, pflegte er zu sagen. Er begann, alle
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