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Whitley Strieber

Whitley Strieber

Titel: Whitley Strieber
Autoren: Der Kuss des Vampirs
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Rasse teilte – ein samlor genommen. Sie erinnerte sich Chiang Mais als einer kleinen Ansiedlung aus Holzhäusern mit anmutig geschwungenen Dächern, erinnerte sich an goldene, spitz zu- laufende Tempeltürme, die sich inmitten üppiger Baumgruppen erho- ben. Heute hallte in den verwinkelten alten Gassen das Knattern der

tuk-tuks wider, die das pedalbetriebene samlor zunehmend ersetzten. Der Verkehr war längst nicht so fürchterlich wie in Bangkok, wurde aber von Tag zu Tag schlimmer.
    Sie sehnte sich nach ihrem wunderschönen Stadthaus in Manhattan und den geliebten Menschen, mit denen sie sich dort umgab: nach der treuen Sarah und der süßen kleinen Leonore, die gerade die Welt zu entdecken begann.
    Genau wie die düsteren Behausungen der anderen Hüter war auch ihr Heim mit zahllosen Kostbarkeiten voll gestellt. Bei ihr handelte es sich jedoch um Schätze des Herzens, während ihre Artgenossen gleichgültig alle möglichen Jade-, Silber- und Gold-Gegenstände ange- häuft hatten und sie nach und nach veräußerten, weil sie unter den Menschen inzwischen als wertvolle Antiquitäten galten. Sie erfreuten sich nicht an ihren unbezahlbaren Jade-Buddhas, ihren Gemälden oder ihren altertümlichen Goldmünzen. Sie benutzten sie nur. Sie selbst besaß eine tausend Jahre alte goldene Buddha-Statue, vor der sie meditierte, und zwei Rembrandt-Zeichnungen von sich selbst und ihrer geliebten Mutter. Ihm war es gelungen, wie sie fand, die strah- lende Essenz von Lamias Wesen einzufangen. Sie liebte diese Zeich- nung, vor allem die weit geöffneten, fast unschuldig blickenden Augen und den feinen spöttischen Zug, der die Lippen ihrer Mutter umspielte. Im Laufe der Jahrtausende hatte Miriam beide Elternteile und ihren Mann verloren, und die Stücke, die sie an diese Personen erinnerten, waren für Miriam das Kostbarste, was sie besaß.
    Rembrandt hatte erkannt, dass die beiden Frauen, die ihn beauftrag- ten, sehr ungewöhnlich waren und eine Unabhängigkeit und Selbstsi- cherheit ausstrahlten, die menschliche Frauen damals nicht besaßen. Er hatte dies in der stolzen und zugleich lässigen Haltung der Figuren eingefangen, die er, summend und Pfeife rauchend, mit winzigen Blei- stiftstrichen auf das Blatt warf. Danach hatte er Miriams Hand geküsst und gesagt: »Eure Finger sind so ... kalt.«
    Sie fand nicht nur Gefallen an den Menschen, sondern auch an de- ren Künsten – an Malerei, Bildhauerei, an Literatur und klassischer Musik. Seit Entstehung des Genres war sie ein glühender Opern-Fan, hatte die Uraufführungen von einem Dutzend Klassikern gesehen und sich von Größen wie Adelina Patti, Maria Callas oder Kiri Te Kanawa verzaubern lassen. Noch heute erinnerte sie sich lebhaft daran, wie die unvergesslichen Stimmen der castratidurch die Konzertsäle der Al- ten Welt gehallt waren.

Für die übrigen Hüter waren Menschen nichts als Tiere. Miriam da- gegen fand, dass sie Seelen besaßen und dass man spüren konnte, wie sie dem Körper kurz vor dem Tod entschwanden. Man merkte es ganz deutlich, wenn man sie fest umschlungen hielt und ihr Blut aus- saugte. Es schien, als entwiche aus ihnen eine Art elektrischer La- dung, und erst danach wurde ihr Blick leer.
    Siesagten, dies sei so, weil der jähe Flüssigkeitsentzug das Nerven- system zusammenbrechen ließ. Miriam konnte nur hoffen, dass sieRecht hatten. Denn was wäre, wenn der Mensch, anders als wir, doch eine Seele besaß? Wenn wir nur die intelligenten Tiere waren und sie die düsteren Engel? Es wäre ironisch, wenn Tiere Engel er- schaffen hätten.
    Wenn sie vor ihrer Buddha-Statue meditierte, fragte sie sich oft: Wa- rum leben wir so lange? Weil uns eine Seele verwehrt wurde? Wenn das stimmt: Könnte ich tauschen? Und warum, lieber Gott, wenn es dich denn wirklich gibt, warum sind unsere Körper so kalt ... so schrecklich kalt?
    Die übrigen Angehörigen ihrer Rasse lebten, um sich zu ernähren. Sie ernährte sich, um zu leben. Sie gab ihr Geld mit vollen Händen aus, wie ihre Familie es immer getan hatte. Sie verschlang es wie Sü- ßigkeiten oder Kaviar. Ihr Nachtclub, das Veils, war der exklusivste Club in New York. In einem guten Monat, und die meisten Monate wa- ren gut, warfen Alkohol und Drogen eine halbe Million Dollar Profit ab. Natürlich musste man keinen Eintritt zahlen. Wenn man wichtig genug war, um ins Veils eingelassen zu werden, war man gewiss nicht die Sorte Mensch, die erwartete, Eintritt zahlen zu müssen.
    Miriam war zweitausend Jahre lang
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