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Whitley Strieber

Whitley Strieber

Titel: Whitley Strieber
Autoren: Der Kuss des Vampirs
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vertrauter Umgebung befand, bevor sie auf die Jagd gehen konnte. Es an einem unvertrau- ten Ort zu tun war zu riskant.
    Schade, dass ihr Flug nach Paris, wo das Europäische Konklave stattfand, erst morgen Abend ging.
    Das Asiatische Konklave würde im Morgengrauen enden, und am lie- bsten würde sie im Anschluss daran sofort nach Europa weiterfliegen. Sich in Paris Nahrung zu verschaffen war ein Kinderspiel. Sie hatte erst kürzlich dort gejagt – vor ungefähr fünfzig Jahren, als es von Deut- schen gewimmelt hatte.
    Es war natürlich möglich, dass sie hier in Chiang Mai einen Mann kennen lernte. Sollte es so kommen, würde sich während der Schwan- gerschaft ihr neuer Gatte um ihre Ernährung kümmern. Wenn sie mor- gen nicht nach Paris flog, würde sie eine ganze Weile in Asien bleiben. Wenn sie nach der heutigen Zusammenkunft noch allein sein sollte, würde sie in die Samian Road gehen, wo sie in einer Seitengasse einen Privatclub namens Moonlight Bar entdeckt hatte. Im Keller war- tete ein winziges altes Frauchen mit Opium. Früher hatte es in Asien Tausende solcher Opiumhöhlen gegeben. Heute gab es so etwas nur noch in Chiang Mai.
    Zu Hause bewahrte sie ihr zweihundert Jahre altes Opium in Ton- schalen auf, die mit Bienenwachs versiegelt waren. Ihre altertümlichen Pfeifen waren die besten, die es gab, und Sarah hatte es in der Kunst des Opium-Bereitens und Pfeifenanzündens zu einer wahren Meister- schaft gebracht.
    Sie blickte zum Mond auf und dachte an New York. Zu Hause war es Mittag, also war im Club das Reinigungspersonal zugange. Sarah und Leo schliefen vermutlich noch, wahrscheinlich Arm in Arm ... wahr- scheinlich in Miriams wunderschönem Himmelbett, das nach Nellie Salters speziellen Wünschen angefertigt worden war. Vor ihrem Tod hatte William Shakespeares ominöse Dark Ladyund Sir Francis Ba- cons schlagfeste Rohrstock-Gebieterin einen über den Durst getrun- ken, weswegen Miriam einen kleinen Schwips von Nellies Blut bekom- men hatte.
    Vielleicht wäre es am besten, ihren künftigen Mann davon zu über-

zeugen, mit ihr in New York zu leben. Und falls er dies ablehnte, sollte sie vielleicht sogar dieses letzte Tabu brechen und ihr Baby ohne männlichen Beschützer austragen.
    Plötzlich tauchte auf dem Gehsteig ein bildschönes Mädchen auf, dessen Gesichtszüge von Meisterhand geschnitzt schienen und des- sen Haut weich wie Morgentau aussah.
    »Sprichst du Englisch?«, rief Miriam ihr zu. Keine Antwort. » Parlez- vous francais?«
    Das Mädchen wandte sich ab und verschwand in einem Torweg. Mi- riam wusste, dass die Einheimischen sich von ihrer Größe, ihrer erha- benen grauäugigen Erscheinung und der eleganten Kleidung leicht einschüchtern ließen.
    Chanel entsandte ihr jedes Jahr einen couturier samt Assistenten, und sie kaufte jedes Mal die gesamte neue Kollektion. Und trotzdem bekam sie ständig zu hören, dass ihre Kleidung viel zu konservativ sei. Es stimmte gewiss, dass Hüter Probleme damit hatten, der Mode zu folgen. Fünfzig Jahre vergingen wie ein Wimpernschlag – und plötzlich merkte man, dass man das letzte Wesen auf Erden war, das noch eine Turnüre oder einen Zylinder trug. Dies war der Grund, weswegen sie in den wenigen halbwegs akkuraten Berichten meistens in besonders altmodischen Kleidern porträtiert wurden. Bram Stoker musste ein klein wenig von der Wahrheit gewusst haben, befand sie. Wie sonst hätte er seinen Dracula als einen solchen Modetrottel porträtieren kön- nen?
    Ein Geruch traf Miriam mit der Wucht einer schallenden Ohrfeige. Sie stieß ein unfreiwilliges Fauchen aus. Der Kopf des Fahrers schnellte zu ihr herum, seine Augen weit aufgerissen. Ihr war der rohe, noch sehr lebendige Duft von Menschenblut in die Nase gestiegen. Dann sah sie, woher der Duft kam: Vor ihnen hatte es einen Verkehrsunfall gegeben.
    Sie verspürte den fast unwiderstehlichen Drang, von der Rikscha zu springen und den Unfallopfern das restliche Blut auszusaugen. Doch auch diesem Drang musste sie widerstehen.
    Sie hielt den Atem an, als sie an der Unfallstelle vorbeifuhren. Sie konnte sich nicht auf sich verlassen, wenn der Duft frischen Blutes in der Luft lag und gleichzeitig ein nagender Hunger ihren Organismus verzehrte. Ihre Haut wurde kalt, und sie begann bereits, sich schwer- fällig und träge zu fühlen. Sie würde kreidebleich sein, wenn sie bei der Zusammenkunft eintraf. Ihre Artgenossen würden sagen: Seht nur,

sie kann sich nicht mal selbst ernähren .
    Zwischen den
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