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Whitley Strieber

Whitley Strieber

Titel: Whitley Strieber
Autoren: Der Kuss des Vampirs
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gleichermaßen bril- lante wie gefährliche Menschenrasse machte sie sich im Augenblick viel zu große Sorgen, um eine solche Ruhepause auch nur in Betracht ziehen zu können.
    »Zum Flughafen«, hatte sie dem samlor-Fahrer aufgetragen. Sie hatte den durchsichtigen Plastikvorhang zugezogen und versuchte, während sie rauchend in der stickigen Fahrgastkabine saß und auf den klitschnassen Rücken des Fahrers starrte, sich nicht vom Duft sei- nes Blutes überwältigen zu lassen.
    Die Fahrt zum Flughafen war lang, und auf dem letzten Stück wurde die Kreatur immer langsamer und kam nur noch im Schneckentempo voran. Wären dies andere Zeiten gewesen, hätte sie ihn ausge- peitscht.
    Sie mochte eine Rebellin sein, aber gegenwärtig empfand sie für ihre Artgenossen nur brennende, bedingungslose Loyalität. Sie hatten das- selbe Recht zu leben wie jedes andere Wesen auch. Es war mehr als ein Recht – denn die gesamte Erde und jedes einzelne Geschöpf, das auf ihr lebte, gehörten ihnen. Und die meisten dieser Geschöpfe, dar-

unter auch der Mensch, waren ohnehin von ihnen erschaffen worden. Sie hatten dem Menschen alles gegeben – seine Gestalt, seinen Geist, das Leben selbst. Es waren Hüter gewesen, die dem Menschen beigebracht hatten, das Land zu kultivieren, indem sie für ihn die erste überlebensfähige Getreidesorte entwickelten. Sie hatten die Samen- körner und die Früchte der Erde und die geistlosen Tiere erschaffen, die der Mensch zum Verspeisen vorgesetzt bekam.
    Ihr eigener Urgroßonkel hatte den nördlichen Herden den Apfel ge- schenkt. Er hatte hunderte Generationen lang verschiedenste Apfel- sorten gekreuzt und das Endprodukt schließlich dort angepflanzt, wo die Menschenstämme den scheinbar wilden Obstgarten entdecken würden. Man hatte dies zur Lösung eines drängenden Ernährungspro- blems getan. Menschen brauchten Obst, damit ihre Verdauung nicht verstopfte. Das Blut eines unter Verstopfung leidenden Menschen schmeckte widerlich.
    Das samlorhielt vor Chiang Mais baufälligem Flughafengebäude, das zu dieser nächtlichen Stunde völlig verlassen war. Offenbar gab es hier keine Nachtflüge. Mit ihrer auffälligen Erscheinung konnte sie sich schlecht in die Wartehalle setzen und als einzige anwesende Passa- gierin die Aufmerksamkeit des Sicherheitspersonals auf sich ziehen. Ganz in der Nähe befand sich ein Areal mit Lagerhallen, die nur von einigen schwachen Fassadenlampen angeleuchtet wurden. Als der samlor-Fahrer eine Rampe hinunterging und sich in den Bereich be- gab, wo seine Kollegen unter Plastikplanen schliefen, huschte sie in den Schatten des Abfertigungsgebäudes. Einige Meter weiter stand ein Maschendrahtzaun mit einem verriegelten Tor. Sie brach das Schloss auf, eilte zur nächsten Lagerhalle und schlüpfte durch einen Seiteneingang hinein.
    In der völlig dunklen Halle roch es nach Baumwolle, und wie sich zeigte, war sie bis unters Dach mit für den westlichen Markt bestimm- ten T-Shirts gefüllt. ‘Grateful Dead’,‘Adolf Hitler European Tour 1939–1945’, ‘I Am a Teenage Werewolf’.
    Sie kannte Angst als etwas, das ihre Opfer empfanden. Auf abstrakte Weise war es höchst interessant zu beobachten. Sie selbst hatte nie Angst, außer wenn sie zu sorglos war oder ihr ein Missgeschick unter- lief. Schließlich konnten Menschen einem Hüter nichts antun. Von ei- nem Menschen getötet zu werden galt als grotesker Unfall und war un- gefähr so wahrscheinlich, wie unter einer Schneelawine begraben zu werden. Oder zumindest war es früher so gewesen. Etwa seit dem

Tod ihrer Mutter hatten die Dinge sich zu ändern begonnen, und als Reaktion darauf hatten die Hüter sich aus lauter Besorgnis mehr und mehr zurückgezogen.
    Hüter waren zehnmal so stark wie Menschen; sie konnten senk- rechte Mauern erklimmen und extrem weit springen. Sie waren we- sentlich intelligenter. Aber waren sie auch schneller als eine Pistolen- kugel oder ein warnender Anruf auf einem Mobiltelefon? Besaßen sie die nötigen Kenntnisse, um Polizeiermittler zu überlisten, die mit den Werkzeugen der modernen Gerichtsmedizin ausgestattet waren? Sie war überrascht gewesen, an dem entweihten Versammlungsort Menschen vorzufinden. Aber nun wurde ihr klar, dass es eigentlich keine Überraschung war.
    Da das asiatische Buch der Namen zerstört worden war, musste sie davon ausgehen, dass es Menschen gab, die von den Hütern wussten und so effizient waren, dass sie die gesamte Hüterschaft Asiens hatten vernichten
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