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Reseph

Reseph

Titel: Reseph
Autoren: Larissa Ione
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    Es war kalt. So verdammt kalt.
    Er öffnete die Augen und sah … nichts. Mit einem Stöhnen drehte er sich um, da er allem Anschein nach mit dem Gesicht nach unten lag. Na klar, er lag mitten auf der Fresse. Aber wo war er eigentlich? Das Einzige, was er sehen konnte, war Schnee. Nein, das stimmte nicht ganz; was er sah, waren Bäume, die mit Schnee bedeckt waren. Und Schneewehen, die mit Schnee bedeckt waren. Und Schnee, auf dem sich noch mehr gottverdammter Schnee türmte.
    Also befand er sich wohl in einem Wald … voller Schnee. Aber wo? Warum?
    Und wer zur Hölle war er eigentlich?
    Reseph.
    Der Name hallte leicht verwischt durch seine Ohren, als ob ein Betrunkener ihn gelallt hätte.
    Reseph.
    Kam ihm irgendwie bekannt vor. Reseph. Okay, damit konnte er arbeiten. Vor allem, da ihm aktuell keine anderen Namen in den Sinn kamen.
    Er versuchte, sich auf die Knie zu erheben, doch ihm fehlte die Kraft; seine Arme zitterten, als ob sie aus Gummi wären, und er fiel immer wieder aufs Gesicht. Nach vier Fehlversuchen gab er auf und blieb einfach liegen, keuchend und zitternd.
    Irgendwo über ihm schrie eine Eule, und ein paar Minuten später heulte ein Wolf in die zunehmende Dunkelheit hinein. Diese Geräusche trösteten Reseph, da sie bedeuteten, dass er nicht allein war. Sicher, die Eule könnte über ihn hinwegfliegen und ihm auf den Kopf scheißen, und der Wolf könnte ihn bei lebendigem Leibe zum Abendbrot verspeisen, aber zumindest hatte er etwas Gesellschaft.
    Er wusste nicht allzu viel über sich selbst, aber eines wusste er definitiv: Er war nicht gern allein.
    Außerdem mochte er Schnee nicht.
    Nur komisch, dass er hier so ganz allein im Schnee lag. Ob ihn jemand hier liegen gelassen hatte? Ein Beben der Furcht ließ ihn innerlich ebenso heftig erschauern wie die Kälte ihn äußerlich zittern ließ. Es musste ihn doch sicherlich jemand suchen.
    An dieser Hoffnung hielt er fest, während er sich nach und nach eines nagenden Schmerzes in seinen Knochen bewusst wurde, der von stechenden Schmerzen in seinem Kopf begleitet wurde. Wie es aussah, kam da eine kleine Ohnmacht auf ihn zu. Cool. Denn in diesem Augenblick schien er gleichzeitig zu erfrieren und zu verbrennen, ihm tat alles weh, während er zugleich eine seltsame Taubheit spürte. Genau, es wäre echt gut, mal kurz das Bewusstsein zu verlieren.
    Sogar echt verdammt gut.
    Idiot. Schwachkopf. Trottel von einem Wetterfrosch.
    Jillian Cardiff verfluchte innerlich den Meteorologen, der das Timing dieses Blizzards total vergeigt hatte. Sie hatte überhaupt nichts gegen Wetterleute; ganz im Gegenteil, schließlich hatte sie bei der FAA , der Federal Aviation Administration – der Bundesbehörde für die zivile Luftfahrt – jahrelang mit ihnen zusammengearbeitet. Aber das hier, das war einfach nur lächerlich.
    Jetzt hatte sie es verdammt eilig, zu ihrem Blockhaus zurückzukommen, ehe sie überhaupt nichts mehr sehen konnte und ihr Arbeitspferd – Sam – unruhig wurde.
    »Komm schon, mein Junge.« Sie gab dem großen Fuchs einen liebevollen Klaps auf die Schulter. »Das restliche Feuerholz kann warten.«
    Sam folgte ihr, ohne dass sie ihn an dem Strick führen musste, das an seinem Halfter befestigt war. Er kannte den Heimweg und freute sich genauso wie sie darauf, endlich in den Schutz eines warmen, behaglichen Gebäudes zu gelangen. Der Schlitten, auf dem nicht mal ein Kubikmeter Feuerholz lag, glitt hinter ihm her, schnitt durch die anderthalb Meter Neuschnee, die vor ein paar Tagen gefallen waren. Dieses neue Unwetter würde vermutlich noch mal einen Meter hinzufügen, und Ende Dezember würde hier so viel Schnee liegen, dass sie nicht mehr wissen würden, wohin damit.
    Der Wind heulte wie ein Lebewesen, und Schneeflocken bombardierten ihr Gesicht wie kleine Geschosse. Jillian rückte ihr Gewehr zurecht, das über ihrer Schulter hing, neigte den Kopf und stemmte sich gegen den Sturm. In Zeiten wie diesen vermisste sie Florida schon sehr. Nicht, dass sie je zurückgehen würde. Manche Dinge vergaß man einfach nie.
    Wie wenn man von Dämonen in Stücke gerissen wurde.
    Als sie erschauerte, hatte das diesmal nichts mit der Temperatur zu tun. Sie würde nicht dorthin zurückkehren. Der Angriff lag hinter ihr, und solange sie weder fernsah noch ins Internet ging oder ihre Narben betrachtete, musste sie auch nie wieder darüber nachdenken.
    Ein langes, schwermütiges Heulen durchdrang die Dunkelheit des Nachmittags. Das musste ganz in ihrer Nähe sein,
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