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Reseph

Reseph

Titel: Reseph
Autoren: Larissa Ione
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wenn sie es trotz des Windes hören konnte. Sam schnaubte und warf den Kopf zurück. Sie verlangsamte ihre Schritte, um den Führstrick zu nehmen und ihm den Kopf mit der weißen Blesse zu tätscheln.
    »Ist schon gut, Kumpel. Die Wölfe tun uns nichts.« Nein, im Allgemeinen ließen Wölfe Menschen in Ruhe. Wenn überhaupt, musste man sich wegen der Berglöwen Sorgen machen. In den vergangenen Wochen waren zwei Jäger aus der Gegend tot aufgefunden worden – besser gesagt, sie waren in Stücke gerissen worden. Das Blutbad hatten wohl die Großkatzen angerichtet.
    Mit einem Puma konnte sie fertigwerden. Womit sie nicht fertigwurde, war die Dunkelheit. In der Dunkelheit lauerten Dämonen.
    Sam bäumte sich plötzlich auf, und ein verzweifeltes Wiehern drang aus seinem gewaltigen Brustkorb. Jillian wurde der Strick aus der Hand gerissen, und sie hätte beinahe in dem eisigen Schnee den Halt verloren, als sie versuchte, ihn erneut zu packen. Sams Vorderhufe trafen auf dem Boden auf und er rammte sie mit der Schulter, sodass sie den Hang hinuntergestoßen wurde. Ihr Aufschrei verstummte abrupt, als sie gegen einen Baumstamm prallte.
    Schmerz breitete sich spinnwebförmig im rechten Teil ihres Brustkorbs aus.
Autsch
, das würde morgen noch echt wehtun!
    »Verdammt noch mal, Sam«, murmelte sie, als sie den schneebedeckten Abhang hinaufkletterte. Sie hielt kurz inne, um ihr Gewehr aufzuheben, das in einer Schneewehe gelandet war.
    Sam schnaubte wie verrückt und drohte komplett durchzudrehen, während er mit einem Huf in einer Schneewehe scharrte. Jillian zog Eisstücke aus Orten, an denen Eis nichts zu suchen hatte, während sie durch den Schnee stapfte und sich fragte, was in aller Welt Sam dermaßen aufgeregt hatte und ihn jetzt noch so nervös machte.
    »Ich hoffe nur, das ist ein Topf voller Gold, was du da gerade ausgräbst, du räudiges –« Mit einem Schreckenslaut verstummte sie.
    Ein Mann … ein nackter Mann … lag mit dem Gesicht nach unten und mit einer dünnen Schneedecke bedeckt gleich neben dem Pfad, als ob er dort zusammengebrochen wäre.
    »Oh mein Gott.« Ihre Hände zitterten, als sie sich einen Handschuh auszog und sein langes platinblondes Haar zur Seite strich, um ihm die Finger an den Hals zu legen. Seine Haut fühlte sich eisig an, was sie erwartet hatte, aber als sie unter ihren Fingerspitzen das regelmäßige Pochen seines Pulses fühlte, erschrak sie fast zu Tode. Er war noch am Leben. Mit einem starken Puls. Wie war das nur möglich?
    Okay, dann … denk nach. Sie musste Hilfe holen, aber sie befanden sich mitten in einem Schneesturm, der immer schlimmer wurde, und es führte kein Weg vom Berg hinab, es sei denn mit dem Schneemobil. Das konnte sie in diesem Unwetter allerdings nicht riskieren; außerdem würde es Stunden dauern, um in die nächste Stadt zu gelangen. Inzwischen könnte er längst tot sein.
    Scheiße.
    Sie führte Sam ein Stück den Pfad entlang, bis der Schlitten genau neben dem Mann stand, während sie betete, dass dieser Kerl kein Serienmörder war, und versuchte, nicht allzu viel darüber nachzudenken, warum er sich mitten im Winter splitterfasernackt in den Bergen befand. So schnell sie konnte, räumte sie ihr Feuerholz auf die andere Seite des Pfades und steckte die Axt dann in die Schlinge an Sams gepolstertem Geschirr.
    Den Mann auf den Schlitten zu wälzen, war leider nicht so einfach, wie sie gedacht hatte. Der Kerl war so schwer wie ein Felsbrocken und
riesig
. Und … gut aussehend. Und sehr, sehr nackt.
    »Ach, wirklich?«, murmelte sie an sich selbst gewandt. »Ausgerechnet jetzt musst du bemerken, wie heiß er aussieht?«
    Zugegeben, es war unmöglich, diese Dinge nicht zu bemerken; dennoch fühlte sie sich ein wenig schuldig, als sie ihn auf Verletzungen hin abtastete. Abgesehen davon, dass er bewusstlos und tiefgefroren wie ein Fischstäbchen war, schien er unverletzt.
    Allerdings hatte er ein interessantes Pferdetattoo auf dem rechten Unterarm. Als sie mit den Fingern darüberstrich, fühlte sie ein leises Vibrieren, als ob die hennafarbenen Linien unter Strom stünden. Nur schade, dass der Strom keine Wärme mit sich brachte. Sie hätte schwören können, dass die Temperatur in den paar Minuten, die es gedauert hatte, sich den Kerl näher anzusehen, um zehn Grad gefallen war.
    Der eisige, beißende Wind nahm weiter an Stärke zu, als ob Mutter Natur einen besonderen Groll gegen sie hegte; und der Schnee, den sie für gewöhnlich liebte, wurde zum Feind. Es
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