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When the Music's Over

When the Music's Over

Titel: When the Music's Over
Autoren: Myra Çakan
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ehemaligen Bewohner davor, sich ihren Häusern zu nähern. Garfield stand fast eine Stunde lang nur da und staunte. Dann drehte er sich einfach um und ging, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen. Jetzt war sein altes Leben endgültig vorbei und es wurde Zeit, erwachsen zu werden und die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, sonst täten es andere, wie die in dem Lager.
    Er setzte seinen Weg wie bisher fort, auch die Reiseart war die gleiche. Essen fand er in aufgebrochenen und verwüsteten Autobahn-Raststätten. Erdnüsse, Töpfchen mit Kondensmilch und den einen oder anderen Schoko-Riegel. Keine schlechte Art, sich zu ernähren, wie er fand. Er war auch klug genug, sich eine Art Rucksack zu basteln, und aus einem der stehen gelassenen Wagen nahm er einen Schlafsack, ein Feuerzeug und eine Taschenlampe mit. An seinem Gürtel baumelten stets eine gefüllte Feldflasche und ein Mehrzweckmesser. Er hatte genug Action-Filme gesehen, um sich auszukennen. Nur eines hatte es in diesen Filmen nie gegeben: einen Helden, der ganz unten in seinem Rucksack einen Garfield-Pyjama hatte. Aber er war ja auch kein Held, sondern nur ein einsamer kleiner Junge, der sich nachts manchmal in den Schlaf weinte.
    Irgendwann kam er an einen Ort, wo das Wasser zurückgegangen war. Eine graugrüne Schlammschicht bedeckte die Straßen. Wie eine außerirdische Riesenqualle war sie Kantsteine und Treppen hochgekrochen, hatte sich unter Türen durchgezwängt und hockte auf aufgeplatzten Sandsäcken. Das Wasser war fort, doch der Geruch war geblieben. Und es würde wiederkommen, irgendwann, und dann würde es nicht mehr ablaufen, das wusste er. Vorerst war er sicher in dem verlassenen Haus hinter dem neuen Deich, das so schmerzlich seinem verlorenen Zuhause glich. Er hatte es sich in der Mansarde gemütlich gemacht. Schleppte was ihm irgendwie nützlich schien die steile Stiege hoch. Er machte den Weg unzählige Male, denn zehnjährige Jungen halten eine Menge Dinge für nützlich.

    Er lebte seit fast einem Jahr in dem Haus. Aus den umliegenden Häusern versorgte er sich regelmäßig mit allem Nötigen. Eines Tages fand er einen Gameboy, er steckte ihn ein, obwohl ihn das Spiel schon vor Jahren gelangweilt hatte. Nachts stülpte er sich die Kopfhörer eines alten Radiorecorders über und spielte Abba- und Roxette-Kassetten. Er hasste beide Gruppen, doch die Stimmen vertrieben die Einsamkeit, und die Radiostationen hatten schon längst ihren Sendebetrieb eingestellt. Wenn die Batterien alle waren, wollte er seine Reise fortsetzen, das war beschlossen.
    Manchmal überlegte er, ob er ein Tagebuch führen sollte, so wie Robinson Crusoe. Und noch viel öfter fühlte er sich wie auf einer Insel, umgeben von Wasser und Nebel. Aber das lag nur an der Jahreszeit. Und als im November die ersten Winterstürme losbrachen, hockte er stundenlang am Fenster und starrte beschwörend auf den nahen Deich, so als könnte er sein Bersten mit reiner Willenskraft verhindern.
    Mit den kürzeren Tagen kam die Langeweile und aus purer Verzweiflung spielte er stundenlang auf dem albernen Gameboy, bis das Spielen zur Besessenheit wurde und er in eine Art Trance geriet. Seltsam – früher, da hatte er jede Menge Pläne gehabt und stattdessen musste er zur Schule gehen. Und jetzt, da er alle Zeit der Welt hatte, schien die Verwirklichung all dieser schönen Pläne weiter entfernt als je zuvor. Es gab so viel, was er vermisste, alberne Sachen wie sein Pausenbrot und die kleinen Abziehbildchen, die er immer aus seinen Frühstücksflocken angelte, wenn die Packung noch ganz frisch war. Seine Mutter schimpfte immer mit ihm – nicht schlimm, mehr im Scherz –, weil er die ganzen Flocken dabei zerbröselte. Er vermisste sogar Frau Schröder-Hintergassner, seine Geschichtslehrerin, die immer nur rote und lila Sachen anhatte und von der alle sagten, sie sei eine Neo-Sanjassin – was auch immer das heißen mochte.
    Eines Nachts hörte er Geräusche. Er war davon aufgewacht, und ihm war, als wäre er in der Zeit zurückgereist bis zu jener Nacht, als die Flut kam. Es dauerte eine Weile, bis er merkte, dass es diesmal nicht das Glucksen des eindringenden Wassers war, sondern menschliche Stimmen. Er fürchtete sich deshalb nicht weniger. Leise suchte er seine Habseligkeiten zusammen und tappte zu der kleinen Tür in der Wandschräge, die auf den kalten Dachboden führte. Den Rest der Nacht verbrachte er am Fuße der Leiter, in seinen Schlafsack gehüllt und mit weit
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