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When the Music's Over

When the Music's Over

Titel: When the Music's Over
Autoren: Myra Çakan
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Morgen wurde er von Frühstücksgeräuschen und -düften geweckt. Der Rabe stand in seiner Kochnische und bereitete irgendein körniges Gesundheitszeugs zu. Wiesel hoffte, dass er nicht auch so ’n Zeugs essen musste. Er aß für gewöhnlich nur Sachen, in denen die Worte Schoko oder Pops vorkamen.
    »Hier, probier das.« Der Rabe schob ihm einen hohen Becher mit einer grünen Brühe zu. »Davon wachsen dir Haare auf der Brust.«
    Wiesel schnupperte vorsichtig und hatte keinen Zweifel, dass der alte Punk die Wahrheit sagte. Er nippte höflich, ohne das Gesicht zu verziehen, und stellte den Becher mit den Worten »Hast du keine Cola?« zur Seite. Kein guter Start. Halbwegs rechnete Wiesel mit dem einen Wort. Doch statt »Raus!« zu brüllen, zuckte der Rabe nur mit den Schultern und kümmerte sich um seinen Kram. Das war ganz schön cool, fand der Junge und bedachte nicht, dass es sein Magen war, der leer blieb. Am nächsten Tag aß er, was der Rabe ihm vorsetzte, und es brachte ihn nicht um.

    Zuerst hatte er zu jeder Stunde Angst, dass »sie« zur Tür reinkommen und ihn greifen würden oder der Rabe sagen würde, dass es Zeit für ihn wäre zu verschwinden. Doch nichts passierte. Die Furcht blieb. Aber im Hintergrund seines Bewusstseins war sie bereits seit Jahren ein ständiger Gast. Das sollte sich erst allmählich ändern, und da war sein Name schon längst nicht mehr Patrick.
    »Brüder haben coole Namen«, sagte der Rabe. »Namen, die zu ihnen passen, Namen, die sie sich verdient haben.«
    »Brüder?«
    »Hacker, Mann.« Der alte Punk schüttelte den Kopf über so viel Ignoranz. »Du bist einer, Kumpel, auch wenn du’s bis jetzt noch nicht weißt.«
    Wiesel akzeptierte das ohne Widerrede. Bis jetzt hatte der Opa ihm noch nie Scheiß erzählt, was an sich schon ein Phänomen war, wusste doch jeder, dass die Alten für gewöhnlich voller Scheiße waren.
    »Was wäre denn ein richtiger Name für mich?«
    »Das musst du schon selbst herausfinden.«
    Das klang nun wirklich fast wie Scheiß, fand der Junge. Seine Alte hatte immer in bunten Hochglanz-Broschüren geblättert – das war, bevor sie alles Geld in Alk umsetzte – und Worte wie Karma und Transzendenz benutzt. Ersatzreligion hatte sein Lehrer dazu gesagt, und es klang ziemlich abfällig. Damals war er noch regelmäßig in die Schule gegangen. New Age-Scheiße nannte es der Alte und eines Tages waren die ganzen Heftchen verschwunden. Kurz danach veränderte sich vieles und er hörte auf, sie in Gedanken »Mutter« zu nennen. Ersatzreligion, das war jetzt Wodka mit Tonic und der Wodka ersetzte immer mehr das Tonic-Wasser – seine Mutter ersetzte ihm niemand.
    Ja, es war Zeit für einen neuen Namen, Zeit für ein neues Leben. Er war schlau und er war schnell, und er war zuversichtlich, er würde es packen. Sollten sie nur versuchen, ihn zu fangen. Er war flink wie ein Wiesel.
    »Wiesel.«
    »Ein guter Name«, fand der Rabe. »Du weißt, was das heißt?«
    Seit sie zuerst über dieses Thema gesprochen hatten, waren mehrere Monate vergangen. Monate, in denen er sich im Netz rumtrieb und zu dem wurde, was der Rabe seine Bestimmung nannte – ein Hacker. Kurz nach der zweiten Invasionswelle – natürlich nannte es niemand so – wurde das Netz abgestellt. Und da wusste er, er hatte eine Aufgabe. Der Rabe gab ihm eine Adresse – eigentlich war es mehr ein Ort: Bahnhof Zoo, Berlin. Und plötzlich war der Zeitpunkt des Abschieds da. Der Rabe murmelte etwas wie »ist immer ein Platz zum Schlafen da« und drückte ihm etwas Schweres in die Hände.
    »Ist ’n Prototyp, ist nie in Produktion gegangen, das Baby.«
    Wiesel senkte den Blick. Schwarz, flach und von mattem Glanz. Er kannte ihn aus den alten Magazinen und aus seinen Träumen: Es war der legendäre Cyber 3. Wiesel klappte ihn auf. Da war es: das holographische Logo, das ultimative Tor zum Cyber-Disney. Und er hatte gerade die Jahreskarte bekommen. Wiesel war überwältigt. Doch bevor er seinen Dank stammeln konnte, fand er sich schon auf der Straße. Und es sollte sieben Monate dauern, bis er wieder irgendwo ankam. In einer fremden Stadt, mit einer Adresse im Kopf, die eigentlich keine war.

    Zwölf Millionen Menschen hatten vor der zweiten Welle in Berlin gelebt – zwölf Millionen, die registriert waren. Die Stadt war voller Flüchtlinge und niemand wusste eigentlich so genau, wovor sie flohen – vor der Flut, den Außerirdischen oder einfach vor ihrem beschissenen Leben. Alle drei Gründe waren
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