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When the Music's Over

When the Music's Over

Titel: When the Music's Over
Autoren: Myra Çakan
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sich an Beton reibt. Der Kapitän musste es auch gehört haben, aber er drosselte nicht einmal seinen illegalen Dieselmotor. War er einfach nur gleichgültig oder wieder mal zu von irgendwelchem Vega-Stoff? Wen kümmerte es – sie hatte für die Überfahrt bezahlt, und er hatte sie ans Ziel gebracht.
    Plötzlich drehte er sich zu ihr um, und zum ersten und letzten Mal sah Skadi sein Gesicht, sah in ausgewaschene, fahle Augen. Sie schauderte, obwohl ihr nicht kalt war.
    Nichts wie weg.
    Blind tastete sie nach ihrem Rucksack mit der wasserdicht verpackten Schlafrolle und sprang an Land. Europa unter ihren Füßen, schwankend wie das krängende Boot. Ein wirklich irres Gefühl.
    Skadi war in einem der vielen Slums von Longyearbyen aufgewachsen. Ihre Eltern hatten noch off-shore auf den Plattformen vor Franz-Josef-Land gearbeitet, bis sie das Embargo kalt erwischte. Was genau damals abgelaufen war, hatten sie da unten nie so richtig mitgekriegt. Sie hatten genug damit zu schaffen, sich die ganzen Kommissionen vom Hals zu halten, die sie wieder zurückschicken wollten. Wohin zurück eigentlich? Während der darauf folgenden Unruhen hatte sie ihre Eltern verloren. Nicht, dass sie ihre Leichen gesehen hätte – sie verschwanden einfach. Die Multis ließen eine Menge Leute verschwinden, damals. Personal, das auf den Plattformen den Mund zu weit aufgemacht hatte, Streikposten, Greenpeace-Aktivisten.
    Und nun war sie endlich hier, freiwillig und illegal. Die größte Party des Jahrhunderts – und sie war dabei. Auf den Inseln hatte sie noch versucht, eines der alten Hovercrafts nach Amsterdam zu kriegen. Nie vergaß sie den Ausdruck auf dem Gesicht des Reiseagenten, und sein Gelächter. Da musste er doch einer dummen ’skimo-Tussi verklickern, dass keine Hovers mehr nach Amsterdam fuhren, weil es Amsterdam nicht mehr gab. Da war nur noch ’n Haufen Wasser und giftiger Schlamm – Industrierückstände nannten sie es da unten.
    Wenn sie ’skimo zu ihr sagten, meinten sie das alles andere als freundlich, diese Insulaner. Doch sie konnten sie damit nicht beleidigen. Ihre Urgroßmutter war eine echte Eskimo gewesen, warum sollte sie gekränkt sein, wenn sie sie an ihre Vorfahren erinnerten?
    Die Flut hatte die Stadt geholt. Wenn sie von der Flut sprachen, klang es immer so, als hätte es nur diese eine gegeben. Dabei gab es Jahrzehnte voller Warnungen und gebrochener Deiche.
    Klimakatastrophe – auch so ein Wort. Die Europäer waren schon immer gut im Vergeben von Namen gewesen. So als würde ein Name alleine schon genügen, um die Gefahr zu bannen. Ozonloch, ökologischer Kollaps, radioaktive Verseuchung – noch mehr Worte. Und sie hatten ein einfaches Mittel dagegen gehabt: Vorsorge, Entsorgung und Endlager. Worte gegen Worte und übrig blieb nur ein Wort, das schlimmste: die Krankheit. Doch der ganze Planet war krank, und genauso wie man ein brandiges Glied amputierte, ließ man ganze Kontinente zurück.
    Hinter ihr fuhr der Kutter wieder zurück in Richtung der Inseln. Sie kniff die Augen zusammen und sah die Heckleuchten erst kleiner werden und dann ganz erlöschen. Anscheinend kreuzte die Küstenwache selbst in dieser verlassenen Gegend oder der Skipper hatte Angst vor Piraten – sie hatte ihn nie nach seiner Fracht gefragt oder warum er sie so bereitwillig an Bord ließ –, aber vielleicht war er auch nur von dem ganzen Stoff, den er sich ständig einpfiff, paranoid geworden. So was geht schnell. Zu Hause kannten sie genug Drogen, um die jahrelange Nacht noch undurchdringlicher zu machen, dazu brauchen sie nicht mal dieses Alien-Zeugs.
    Sie schulterte ihren Rucksack und schaltete ihre Sturmlampe ein. Niemand sollte sagen, dass Skadi Gunnarsdottir sich nicht gut vorbereitet hatte für ihren Ausflug ans Ende der Welt.
    Noch sieben Stunden bis zum Neuen Jahr, und sie wusste noch nicht mal, wo die Party steigen sollte. Die Gegend sah verlassen aus. Hier sollten Menschen leben?
    Schmutziges Wasser, mit Plastikflaschen und halb geöffneten Müllsäcken bedeckt, schwappte träge gegen poröse Betonpfeiler. Eine Brücke, ein Poller? Hier sollte vor Ewigkeiten einmal der Hafen der Stadt gewesen sein, hatte der Kapitän gesagt. Er schien sich hier auszukennen, oder warum sonst redete er plötzlich in ganzen Sätzen zu ihr? »Bin hier oft auf Landgang gewesen. Mann, haben wir damals die Puppen tanzen lassen.«
    Hamburg, warum musste es ausgerechnet Hamburg sein? Zufall, wie so vieles im Leben. Vorherbestimmt, wie so vieles
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