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When the Music's Over

When the Music's Over

Titel: When the Music's Over
Autoren: Myra Çakan
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Die Nacht, als die Flut kam

    Er hörte das Glucksen des Wassers zuerst in seinem Traum. Es war ein schöner Traum. Aus einer längst vergangenen Zeit, als Papa noch seine Arbeit hatte und nicht immer nur den ganzen Tag vor dem Fernseher hockte und ihn anschrie, wenn er nur durchs Wohnzimmer tappte – ganz leise. Den ganzen Tag war er an der Sonne gewesen, hatte Dämme aus schlammigem Sand gebaut und mit Muscheln und Tang verziert. Und die Wellen hatten diese leise glucksenden Geräusche gemacht, so als würden kleine Kobolde lachen, Wasserkobolde.
    Im Jahr darauf hatten sie den Strand gesperrt. Er hatte Papa gefragt warum, doch der war nur sauer geworden, wie so oft, wenn er ihn etwas fragte, was er ihm nicht erklären konnte. In der Schule hatten sie dann gesagt, es hätte irgendwas mit durchrostenden Fässern zu tun. Damals ging er noch zur Schule. Aber irgendwie hatten sich die Dinge nach dieser Sache mit den Fässern nur noch zum Schlechten entwickelt. »Politiker. Ist alles Schuld dieser verdammten Politiker«, sagte Papa immer. Mama nickte nur. Sie sagte überhaupt nicht mehr viel in jenen Tagen.
    Es waren die Böller, die ihn weckten. Sie schießen Hochwasser, dachte er schläfrig und zog sich die Decke über die Ohren. Er wollte zurück an diesen Ort, wo immer Sommer war und die Wellen kicherten.
    Und irgendwann, als er gerade in seinen Traum zurückgleiten wollte, merkte er, dass etwas nicht stimmte. Es waren die Geräusche, die fehlten. Das Klicken des alten Radioweckers auf seinem Nachttisch, das Brummen des Kühlschranks, der hinter der Trennwand seiner Schlafecke stand. Nur das seltsame Glucksen, das so gar nicht in seine Wirklichkeit passen wollte, war zu hören. Er stand auf. Tastete sich im Dunkeln zur Tür, wo der Lichtschalter war. Knipste ihn an, es blieb dunkel. War dies alles vielleicht noch ein Teil seines Traumes? Er lief über den Flur. Die Schlafzimmertür war nur angelehnt. Sein Herz klopfte plötzlich so laut, dass ihn das Geräusch, die Hand an der Klinke, erstarren ließ. Und dann schwang die Tür auf, er konnte sich nicht erinnern, sie angestoßen zu haben.
    Sie waren einfach verschwunden, hatten sogar noch Zeit gehabt, ihre Koffer zu packen, wie er an den aufgerissenen Schubladen erkennen konnte. Er war doch erst neun. Viel zu jung, um allein zu sein. Wie konnten sie ihm das antun?
    Der Sturm peitschte das angelehnte Fenster auf, fetzte die gebauschten Vorhänge zur Seite und ließ das Mondlicht herein. Er konnte sich in den großen Spiegeln auf der Schleiflackschrankwand erkennen: ein kleiner dünner Junge in einem Garfield-Pyjama. Mutlos sah er an sich hinunter, er trug ja nicht einmal Schuhe, wie sollte er da dem Leben begegnen?
    Da erst sah er das Wasser. Der grüne Teppichboden war schon ganz durchgeweicht – hatte patschige, schwarze Flecken. Jetzt wird Papa aber toben, dachte er. Ganz weit entfernt konnte er die Sirenen hören. Das war beim Einkaufszentrum. Er erinnerte sich, dass sie sie vor vier Jahren dort auf dem Dach installiert hatten, das war gewesen, nachdem die »Fremden« gekommen waren. Und dann merkte er, dass er nur an all diese Dinge dachte, weil er die Wirklichkeit nicht wahrhaben wollte. Er schniefte. Jungen weinen nicht. Doch dann fiel er auf die Knie und drückte sein Gesicht in Mamas Kopfkissen und heulte sein ganzes Elend hinein.

Europa unter den Füßen

    Es war Sylvester, es war Nacht und es war kalt. Regen und Wind peitschten die Bugwelle zur meterhohen Gischt. Der Kutter bäumte sich auf und knallte auf die Eisschollen in der Fahrrinne. Eispartikel schnitten ihr ins nackte Gesicht. So sah also der Winter auf dem Kontinent aus? Skadi zog sich die Schneebrille vor die Augen. Lügen, nichts als Lügen. Seit sie an Bord gegangen war, hatte ihr der bekiffte Kapitän nichts als einen Sack voll Lügen erzählt.
    »Mach, dass du von Bord kommst, ’skimo.« Während der ganzen Überfahrt hatte sie nicht einmal sein Gesicht sehen können und die Angst hatte sie nicht verlassen, dass er die Krankheit haben könnte. Viele auf den Inseln hatten sie. Seit sie auf Reisen gegangen war, hatte es sich Skadi zur Gewohnheit gemacht, ihren ganzen Körper jeden Morgen nach den verräterischen dunklen Malen abzusuchen. »Pest von den Sternen« hatte man die Seuche anfangs genannt. Doch »sie« verboten es und so hieß es nur noch »die Krankheit«, so als wären alle anderen Krankheiten plötzlich bedeutungslos geworden.
    Sie hörte das nervende Geräusch von Metall, das
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