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Wesen der Nacht

Wesen der Nacht

Titel: Wesen der Nacht
Autoren: Brigitte Melzer
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entdecken. Auch sonst schien mir niemand Beachtung zu schenken. Trotzdem wollte das Gefühl, dass mich jemand anstarrte, nicht weichen. Ich glaubte die Blicke regelrecht zu spüren, die sich in meinen Rücken bohrten.
    Vor einer Schaufensterfront blieb ich stehen. Ich gab vor, die Auslage zu betrachten, während ich die Scheibe als Spiegel benutzte und die Straße hinter mir nach einem heimlichen Verfolger absuchte. Zwei oder drei Minuten blieb ich stehen, wartete und behielt die Umgebung im Auge. Abgesehen davon, dass ich keine Ahnung hatte, wer mich verfolgen sollte, dämmerte mir allmählich, wie lächerlich ich mich benahm. Als ob ein Blick etwas Greifbares wäre, das ich hätte spüren können. Vermutlich war alles, was ich gespürt hatte, die Enttäuschung über den geplatzten Nachmittag mit Pepper. Ich rückte meine Tasche zurecht, drehte mich entschlossen um und ging weiter.
    Zehn Minuten später bog ich in die Musswell Road und ein paar Meter darauf in die Wood Lane ein, an deren Ende mein Zuhause lag. Von dem geschäftigen Treiben, das eben noch geherrscht hatte, war hier nichts mehr zu bemerken. Ein teures Einfamilienhaus reihte sich ans nächste und die Straße war so eng, dass kaum zwei Autos aneinander vorbeikamen. Auf den ersten Metern gab es nur auf der rechten Seite einen schmalen Gehweg. Ich folgte ihm, vorbei an den Häusern und den in den Auffahrten parkenden Wagen. Immer mehr Büsche und Bäume säumten die Zufahrten zu den Grundstücken und weiter hinten verschwand die Straße unter einem Dach aus Baumkronen. Dort, wo die Wood Lane in die Queenswood Road überging, wurde die Fahrbahn wieder breiter. Rechts und links im Schatten der Bäume parkten jetzt Autos. Die Häuser zu beiden Seiten waren einem lichten Wald gewichen und an einigen Stellen bahnte sich die Sonne ihren Weg durch das Blätterdach und zeichnete Inseln aus Licht auf die schattige Straße.
    Nachdem ich so lange auf aufgeheiztem Asphalt in der Sonne gelaufen war, atmete ich tief durch und genoss die kühle Luft. Ich fröstelte sogar ein bisschen. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinen nackten Armen aus und ich spielte mit dem Gedanken, meinen Schulblazer aus der Tasche zu holen, verwarf ihn allerdings wieder. In ein paar Minuten wäre ich sowieso zu Hause. Zu meiner Linken konnte ich bereits die hohe Backsteinmauer zwischen den Bäumen ausmachen, die The Queen’s Green umgab. Ab da war es nicht mehr weit bis zum Tor. Ein paar Meter die Straße entlang und dann kam links schon die Zufahrt in die zurückversetzt liegende Anlage.
    Ich liebte die Queen’s Woods, die unser Zuhause von drei Seiten umgaben, mochte die Ruhe, die sie ausstrahlten, und die Abgeschiedenheit, besonders am Abend, wenn es langsam dunkel wurde und sich die Spaziergänger allmählich in Pubs und Restaurants verzogen. Das war die Zeit, in der ich meine Sportsachen anzog und laufen ging.
    Es war herrlich ruhig hier. Fast ein bisschen zu ruhig. Seit ich die Wood Lane mit den eleganten Wohnhäusern verlassen hatte, war kein Wagen mehr an mir vorbeigekommen und ich hatte weder Fußgänger noch Radfahrer gesehen. Von Zeit zu Zeit knackte ein Ast und hin und wieder raschelte es im Unterholz, die einzigen Geräusche, wenn man vom Zwitschern der Vögel und dem entfernten Rauschen des Verkehrs absah. Schlagartig kehrte das ungute Gefühl zurück, beobachtet zu werden. Oder war es nur die Erinnerung daran? Unwillkürlich wurde ich schneller. Ich ärgerte mich über mich selbst, konnte aber dem Drang nicht widerstehen, mich nach einem Verfolger umzusehen. Da war niemand. Natürlich nicht.
    Als ich die Grundstücksmauer erreichte, atmete ich unwillkürlich auf. Nur noch ein paar Meter, dann war ich zu Hause, konnte dieses blöde Gefühl abschütteln. Raus aus der Schuluniform, rein in Shorts und T-Shirt und mich dann im Garten unter dem großen Baum ausstrecken.
    Ein Motor heulte hinter mir auf, ich drehte mich um und sah einen Wagen auf mich zuschießen. Ich wich an den hinteren Rand des Gehwegs zurück, bis ich fast die Mauer zwischen den lichten Bäumen berühren konnte, um nicht auf den letzten Metern noch von einem durchgeknallten Raser über den Haufen gefahren zu werden, der auf der engen Straße die Kontrolle über seinen Wagen verlor. Doch statt an mir vorbeizurauschen, kam der Wagen mit quietschenden Reifen vor mir auf dem Gehweg zum Stehen. Ein dunkelblauer Lieferwagen, die Art von Auto, wie Handwerker sie fahren– oder in die man Entführungsopfer zerrt.
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