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Wesen der Nacht

Wesen der Nacht

Titel: Wesen der Nacht
Autoren: Brigitte Melzer
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schön war und uns nicht der Sinn danach stand, uns in irgendwelchen Einkaufszentren oder Cafés herumzutreiben, zog es uns meistens zu mir nach Hause. Pepper war immer noch jedes Mal begeistert davon, in einem richtigen Garten mit echtem Rasen zu sitzen. Und das war auch der Plan für diesen Nachmittag.
    »D u willst echt laufen?« Mit einem Seufzen rückte Pepper den Riemen ihrer Tasche zurecht und setzte sich in Bewegung. Sie war noch nie eine Sportskanone gewesen, was man ihr auch ansah– sehr zu ihrem Leidwesen. Sie war nicht nur kleiner, sondern auch fülliger als ich. Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie die weniger freundlichen Kids die Kugel nannten. Pepper hatte sich davon nie aus der Ruhe bringen lassen, zumindest nicht nach außen hin. Trotzdem wusste ich, wie weh ihr dieser Spott tat. Inzwischen war sie ein paar Zentimeter gewachsen und ihre Pfunde hatten sich besser verteilt, sodass es nur noch wenige Leute gab, die sie deshalb aufzogen. Das änderte jedoch nichts daran, dass es ihr immer noch zu schaffen machte. Umso höher rechnete ich ihr an, dass sie bereit war, das Stück um meinetwillen zu Fuß zu gehen. Die Luft an der befahrenen Straße war stickig und schwer von Abgasen.
    Mit schnellen Schritten gingen wir nebeneinander her. Sobald wir die Stelle erreichten, ab der die Straße nur noch zweispurig war, verlangsamten wir unser Tempo. Der scheußlichste Teil der Strecke lag hinter uns. Hier war es ruhiger. Zu beiden Seiten säumten zweistöckige Ziegelbauten die Straße, in denen sich ein kleiner Laden an den anderen reihte. Einige mit bunten Fassaden und dekorierten Auslagen, andere heruntergekommen und verwaist.
    Plötzlich überkam mich ein eigenartiges Gefühl– als würde mich jemand beobachten. Tatsächlich entdeckte ich ein paar Meter vor uns, vor einem der Geschäfte, den Studenten mit dem Handy, der mich schon an der U-Bahn gemustert hatte. Er hielt das Telefon immer noch an sein Ohr gepresst, vermutlich war beides längst miteinander verwachsen, und die Hand, mit der er es hielt, war nur Tarnung, um die Leute nicht zu erschrecken. Sobald sich unsere Blicke trafen, schenkte er mir ein Lächeln, ähnlich mitleidig wie das von vorhin, und drehte mir den Rücken zu. Die Augen in die Auslage eines Computerladens gerichtet, quatschte er weiter in sein Telefon. Als wir an ihm vorbeigingen, folgte sein Blick meinem Spiegelbild im Schaufenster. Schnell checkte ich mein Aussehen in der Scheibe. Ich zupfte den dunkelblauen Faltenrock meiner Schuluniform zurecht und zog die kurzen Ärmel der weißen Bluse gerade. Meine langen schwarzen Locken saßen so, wie sie sitzen sollten. Ich war noch ein wenig blass, aber das dunkle Make-up um meine Augen befand sich an Ort und Stelle. Nichts verschmiert. Das entlockte mir ein zufriedenes Grinsen.
    Neben mir leuchtete Peppers kupferroter Schopf in der Scheibe, eine Farbe, um die ich sie immer beneidet hatte, auch wenn ich das niemals zugeben würde, und sie früher deshalb kleine Hexe genannt hatte.
    »D u hast mir noch gar nicht erzählt, was Doug heute von dir wollte«, sagte sie.
    Mit einem unterdrückten Seufzer riss ich meine Aufmerksamkeit von meinem Spiegelbild und von dem des Studenten los und wandte mich wieder Pepper zu. Doug Shusterman und ich waren letzten Freitag miteinander ausgegangen. Im Gegensatz zu mir schien es ihm gefallen zu haben, weshalb er mich nach Schulschluss auf dem Gang abgefangen hatte, ehe ich die Flucht ergreifen konnte.
    »J etzt rede schon!«, drängte Pepper.
    »E r wollte morgen noch einmal mit mir weggehen.«
    »U nd?«
    »I ch habe Nein gesagt.« Ich hatte behauptet, jemand anderen zu treffen. Das war zwar gelogen, aber immer noch besser, als ihm ins Gesicht zu sagen, dass unser letztes Date meine Erwartungen nicht erfüllt hatte. Oder wenigstens irgendeine meiner Erwartungen. Zwei verschwendete Freitage hintereinander waren einfach zu viel.
    »D u hast Nein gesagt?!«, quietschte Pepper. »B ist du verrückt? Doug ist heiß!«
    Heiß ja– aber leider auch sterbenslangweilig. »D u weißt doch, wie es letzte Woche gelaufen ist!« Erst hatte er mich in einen Actionfilm geschleppt, ohne sich auch nur ansatzweise zu erkundigen, ob ich den überhaupt sehen wollte. Gegessen hatten wir danach an einem Schnellimbiss an der Straße. Er hätte wenigstens einen Laden aussuchen können, in dem man sich hinsetzen konnte. Aber nein, stattdessen hatten wir Fish & Chips samt Coladose in der Hand balanciert, und ich hatte zu kämpfen
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