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Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt
Autoren: Friederike Schmöe
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ausgeschlossen. Demonstrativ begann sie, auf ihrem Handy herumzutippen.
    Juliane musterte Thomas herausfordernd. Wahrscheinlich malte sie sich gerade aus, wie es mit ihm wäre. Anstatt mit Wano, unserem Fahrer. Wie das klang, ›unser Fahrer‹. Richtig großbürgerlich. Nach Zeiten, in denen man Personal gehabt hatte. Der Unterschied konnte größer nicht sein: Thomas, der Geschäftsmann mit den Gasdollars in der Brieftasche. Und Wano, der Proletarier, der die Arbeiterfahne schwenkte. Ich trank meinen Kaffee aus.
    »Batumi ist eine prickelnde Stadt«, sagte Thomas. »Viele ausländische Investoren. Früher war Abchasien das Lieblingsurlaubsgebiet der ganzen Sowjetunion. Seit der Separation, dem Krieg und dem ganzen Hickhack mit den Russen kann kein Georgier mehr dorthin fahren. Also kommen sie alle nach Adscharien, und vor allem nach Batumi.«
    »Was sollten wir Ihrer Meinung nach ansehen?«, fragte Juliane. Nach ihrem Bad im Meer hatte sie geduscht und sich geschminkt. Der vogelartige Lidstrich durfte nicht fehlen. Sie ging nie ohne Make-up aus dem Haus.
    »Den botanischen Garten. Unbedingt! Er ist ein Traum. Oder wandern Sie einfach ein wenig durch die Innenstadt. Genießen Sie den Strand. Das Wasser ist sicher noch kalt, aber bei dem Wetter …«
    Juliane und Thomas verloren sich in einer Diskussion um ausländisches Investment, die Ölpipeline vom Kaspischen zum Schwarzen Meer und das Gasgeschäft. Meine Gedanken tänzelten davon. Sie verloren sich jenseits der Fenster, auf einer staubigen Straße, auf der ein Grüppchen Männer stand und plauderte. Ich schloss kurz die Augen, versuchte mich zu konzentrieren, sah dann Thomas an und fragte: »Was denkst du über die Protestdemos im letzten Jahr?«

42
    Er verließ das Café auf der anderen Straßenseite. Ein wirkliches Café, in dem sich die Männer des Ortes trafen, wie man das hier kannte, und kein aufgebrezeltes Kaffeehaus, das sich dem Westen anbiederte. Eine Frau trat ihm in den Weg. Sie verkaufte Kräuter.
    »Geh zur Seite!«, fauchte er sie an, und sie gab ihm raus, die Alte mit ihren Koriander- und Dillbüscheln.
    Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie zu dritt sein würden. Der Mann ging weg, es blieben drei Frauen. Ihm war heiß in seiner Lederjacke, doch er behielt sie an. Darunter steckte die Rossi in einem sicheren Nest, es war, als trüge er eine junge Taube mit sich herum.
    Sie bestiegen ein Taxi und ließen sich davonfahren, und er folgte ihnen im nächsten Taxi, das war nicht schwierig.
    Er dachte an das Geld, weil es ihm Bauchschmerzen machte, dass er in Kürze vier Frauen getötet haben würde.

43
    Ein halbes Dutzend gelbbraune Welpen wälzten sich im Straßenstaub vor der Zufahrt zum botanischen Garten. Wir stiegen aus dem Taxi. Ich wollte zu Fuß gehen, brauchte Bewegung, um meine Denke anzuwerfen. Sopo war genervt, sie hatte keine Lust auf einen Fußmarsch, und plötzlich tat sie mir leid. Wir schleppten sie mit wie einen Computer, der bei Bedarf die passenden Wörter auszuspucken hatte und ansonsten in den Schlummermodus geschaltet wurde.
    Der botanische Garten erstreckte sich über steile Hügel mit tief eingeschnittenen Tälern, denen helles Licht an diesem Morgen erspart blieb. Erst jetzt bemerkte ich, wie nah der Kleine Kaukasus an die Küste heranrückte. Im Nordosten waren die Gipfel noch schneebedeckt. Auf Meereshöhe verblühten bereits die Magnolien.
    »Der botanische Garten ist in fünf Zonen eingeteilt, die die fünf Kontinente repräsentieren«, erklärte Sopo. Sie zog ihr Handy aus der Handtasche und warf einen sehnsüchtigen Blick darauf.
    Ich wollte fragen, sag mal, Sopo, bist du verliebt? Mir fiel auf, dass ich nicht einmal wusste, ob wir uns siezten oder duzten. Ob Juliane gemerkt hatte, dass wir uns ziemlich von oben herab benahmen?
    Je höher wir kamen, desto kälter wurde der Wind. Ich war froh um meinen Pullover. Irgendwo schoss ein Bach durchs Gehölz, reißend vom Schmelzwasser aus den Bergen.
    »Abchasien muss viel schöner sein«, sagte Sopo gerade. »Ich war nie dort. Meine Mutter ist in Sochumi geboren. Die 5.000er reichen bis an den Strand. Meine Oma wurde vertrieben. Sie hat alles verloren. Haus, Tiere, einfach alles.«
    »Meine Oma war auch ein Flüchtling.« Mit einem Mal teilte ich etwas mit Sopo: zu jener Generation zu gehören, die sich im neuen Leben eingerichtet hatte. Die den Verlust der Heimat nur aus Erzählungen kannte. Junge Leute, die über Fluchtrucksäcke lächelten. Ich erzählte von meiner
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