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Das erste Schwert

Titel: Das erste Schwert
Autoren: Anna Kashina
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|9| Prolog
    Elmar Dorn näherte sich der knienden Gestalt im Zentrum der Schaubühne. Evan, sein Sohn. Sein eigen Fleisch und Blut.
    Das Echo seiner Schritte hallte von den Mauern wider und zitterte über den vom Fackelschein erhellten Hof. Es war zu dunkel,
     um die Burg noch sehen zu können, aber Elmar spürte ihre niederdrückende Gegenwart deutlich. Eine zerklüftete Masse, die dem
     Biss des Seewindes trotzte und mit der Kälte uralten Gesteins auf allen seinen Sinnen lastete. Nur in nächster Nähe wurde
     sie vom prasselnden Lodern der Fackeln erhellt.
    Hinter ihm, am Rande der Plattform, jenseits des Fackelkreises, verschmolz eine Reihe in schwarze Roben gehüllter Gestalten
     mit den Schatten. Elmar vermochte die Worte ihres monotonen Gesangs nicht zu verstehen, dennoch hallten sie geisterhaft in
     seinem Kopf wider.
Allgebieter Shal Addim – ruhig sei unsre Hand   ... und edel das Blut.
    Seine Lippen pressten sich zu einem grimmigen Strich zusammen. Die Klinge gab ein leises Singen von sich, als sie aus der
     Scheide glitt. Zuckender Feuerschein glitzerte auf dem Stahl.
    Ganz leicht lag ihm das Schwert in der Hand, kaum mehr als eine dünne Metallfeder, die Wölbung des Griffs war wie für seine
     Hand geschaffen. Trotz alledem fühlte es sich gut an, die Waffe zu halten. Das erste Schwert – geschmiedet zum Wohle des Menschengeschlechts.
    Für ihn, Elmar Dorn, auf dass er es zur Erlösung des Reiches führe.
    |10| Er hielt inne, lauschte dem Schlagen seines Herzens und begegnete Evans Blick. Die Augen des Jungen waren weit aufgerissen
     vor Angst. Fast glaubte Elmar, das Hämmern seines Herzens in der eigenen Brust zu hören. Er fühlte, wo Evans Herz saß, fühlte
     es so deutlich, als sei es das seine.
    Es durfte nicht sein, dass er das Ziel verfehlte.
    Mit sicherer Hand stieß er seinem Sohn das Schwert in die Brust. Die schmale Klinge drang zwischen den Rippen ein und traf
     auf keinerlei Widerstand. Ein Beben durchfuhr den Stahl, gerade so, als habe Evans Herz einen letzten Schlag getan und sei
     – zerfetzt – für alle Zeit verstummt.
    Zum Wohle

    –
des Menschengeschlechts.
    Ohne einen Laut sackte Evans Körper zu Elmars Füßen zusammen.
    Die Stimmen am Rande des Kreises erhoben sich, wirbelten über dem Podest.
»Allgebieter Shal Addim – ruhig sei unsre Hand; stark der Geist und edel das Blut.«
    Elmar zwang sich, Evans nach oben gewandtes Gesicht anzusehen. Er würgte an einem Klumpen im Hals, er stand und starrte, die
     blankgezogene Klinge in der Hand. Sein ganzer Leib schmerzte unter der Höllenpein verkrampfter Muskeln, sein Gesicht war eine
     Fratze.
    Im Flackerlicht der Fackeln sah Evans helle Haut noch bleicher aus, im Kontrast zu seinem Haar, das so schwarz war, dass selbst
     die Dunkelheit der Nacht dagegen blass erschien. Das Gesicht wirkte friedlich. Die Augen waren wie im Schlaf geschlossen.
     Fast schien es, als sei der Junge eingenickt. Nur die verdrehte Lage des Körpers, die darunter begrabenen Beine, die seitwärts
     ausgestreckten Arme, verrieten, dass dies kein natürlicher Schlummer war.
    Die Zeit verging, aus Lidschlägen wurden Ewigkeiten, und das gemächliche Singen dauerte an und an. Zu lange. Dies alles hier
     geschah nicht wirklich. Er, Elmar Dorn, Herzog der |11| Westlande, Erbe des Shandorianischen Reiches, hatte alles aufs Spiel gesetzt und verloren.
    »Vergib uns, Allgebieter«,
sangen die Priester.
»Shal Addim – führe uns zum Licht.«
    Rette unser Seelenheil.
    Der Körper am Boden zuckte. Die Augen öffneten sich mit einem Ruck. Ihr Blick traf Elmars Blick, im Lodern der Fackeln wandelte
     sich ihr Azurblau zu Purpurrot. Evan mühte sich in eine sitzende Haltung empor – langsam, als erhebe er sich, noch nicht völlig
     erwacht, aus einem Schlaf.
    »Vater   –«, sagte er.
    Elmars Stimme versagte. Das Schwert entglitt seiner kraftlosen Hand. Mit einem Klirren fiel es zu Boden.

|13| Der Bote
    Aus dem Versteck inmitten des dichten Tentakelgestrüpps betrachtet, sah das flache Or’halla-Grasland jenseits der Hecke wie
     eine ungeheuerliche, schimmernde Wasserfläche aus. Aus dieser Entfernung schien der einsame Reiter nur ein dahinjagender Vogel
     zu sein – der Mantel umflatterte den Mann auf dem Pferderücken wie ein Schwingenpaar. Die geschmeidigen grauen Reitechsen
     seiner Verfolger verschmolzen fast mit der Umgebung. Schnell kamen sie näher. Viel zu schnell.
    »Ich wette um eine Kupfermünze, dass sie ihn noch vor der Grenze einholen«,
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