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Wer mit Hunden schläft - Roman

Wer mit Hunden schläft - Roman

Titel: Wer mit Hunden schläft - Roman
Autoren: Picus-Verlag
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Hauptbestandteil. Die hellblaue Farbe war zu den marternden Eigenschaften des Walkstoffs nur noch das Tüpfelchen auf dem i, wie man so schön sagt. Der unter den Eltern also äußerst beliebte und vom Norbert am meisten gehasste Kinderwalkjanker wurde aus unbekannten Gründen lediglich in zwei Farben hergestellt. Nämlich in rot und in hellblau. Der Norbert war der Ansicht, wenn schon einen Walkjanker, dann einen schönen roten. Aus einem weiteren unbekannten Grund durften aber die roten Walkjanker alleinig die Mädchen tragen. Kein Elternteil wäre je auf die absolut absurde Idee gekommen, seiner Tochter einen hellblauen oder seinem Sohn einen roten Walkjanker zu schenken, weil der Walkjanker immer von den Eltern oder Verwandten meist zu einem traditionellen Anlass geschenkt wurde. Niemals wurde je ein steirisches Kind mit einem Glied mit einem roten oder je ein steirisches Kind mit einer Scheide mit einem hellblauen Walkjanker gesichtet. So ist auch der Norbert an diesem für ihn bedeutungsvollen, ja schicksalsträchtigen Tag, wie solche Ereignisse genannt werden, nicht in einem roten, sondern traditionellerweise in einem hellblauen Walkjanker auf dem Bahnsteig in Pichlberg gestanden und hat sich, auf den Regionalzug nach Mürzzuschlag wartend, vielmehr über das Tragen des hellblauen Walkjankers als über die Tatsache, von seiner Mutter weggegeben zu werden, aufgeregt. Ganz im Gegensatz zu seiner Mutter, die sich dem Anlass entsprechend quasi die Augen ausweinte. EINSZWEIDREI IM SAUSESCHRITT , hat die Mutter gesagt zwischen dem Schluchzen, LÄUFT DIE ZEIT et cetera, und hat die Aufregung des Norbert über den Walkjanker im Zuge eines so dramatischen Ereignisses, wie es eine Kindsweggabe ohne Zweifel ist, überhaupt nicht verstanden, verständlicherweise. Insgeheim hatte sich der Norbert schon Wochen vor der Abreise auf die Zugfahrt gefreut. Jahrelang hatte er die Züge bei der Ein- und Abfahrt beobachtet, wünschte sich immer in einem der Waggons zu sitzen, um in die Stadt zu fahren, wo es keine Bäume, keine Wiesen, keine Kühe und Schweine und Steireranzüge gab, geschweige denn Kindersteireranzüge, anstatt wieder zurück zum Leitenbauerhof zu gehen. Während die Mutter auf dem Boden kniend, ihr Gesicht fest an die Brust des Norbert gedrückt, in dessen Walkjanker hineinweinte und den Verlust ihres Kindes kaum verkraftete, sind die Wangerln des Norbert vor lauter Aufregung wegen der bevorstehenden Zugfahrt und der Flucht vom Leitenbauerhof und Pichlberg im Allgemeinen, ganz rot angelaufen. Geht doch alle scheißen, hat sich der Norbert gedacht.
    Außer an den Freitagen, an denen er sich laut gerichtlicher Weisung bei besagter Männerberatungsstelle einzufinden hat, sitzt der Herr Norbert jeden Morgen an seinem Frühstückstisch und kaut langsam und gemütlich an einem Butterkipferl. Früher hat er es sich ja immer hineinstopfen müssen, um rechtzeitig in der Arbeit zu sein, aber der Stress, pünktlich in die Arbeit kommen zu müssen, fällt ja jetzt weg, und deshalb kaut er sein Butterkipferl nicht völlig automatisiert, sondern denkt beim Kauen ganz bewusst daran, gerade ein Butterkipferl zu kauen. Vor drei Monaten hat der Herr Norbert von der Wiener Linien Gmbh & Co KG , die sein langjähriger Arbeitgeber gewesen ist, einen blauen Brief erhalten, wie die bei Arbeitern und Angestellten gefürchteten Entlassungsschreiben heißen. Darin ist der Herr Norbert zum Zwecke seiner Genesung temporär beurlaubt worden, wie sich die Führung der Wiener Linien Gmbh & Co KG ausgedrückt hat damals. Bis zu Ihrer Genesung und der Aufklärung der Ursachen, die zu dem bedauernswerten Zwischenfall geführt haben, hat die Führung erklärt und den Herrn Norbert in den mutmaßlichen Krankenstand geschickt, seit nunmehr drei Monaten, in denen er sich das bewusste Butterkipferlkauen beim Frühstück angewöhnt hat. Links von ihm liegt ein Stoß Tageszeitungen, weil es ihm seither ebenfalls zur Gewohnheit geworden ist, jeden Tag die großen österreichischen Tageszeitungen zu lesen. Weniger aus Interesse an tagespolitischem oder internationalem Geschehen, als vielmehr aus Zeitvertreib und einer durch das Zeittotschlagen und Langeweile entstandenen Sensationslust an den meistens reißerisch aufgemachten und oft auch grausigen Geschichten in den Chronik- und Panorama-Teilen der Zeitungen. Rechts vor ihm steht der geliebte Häferlkaffee, ohne den er sich den Start in den Tag, wie er immer sagt, überhaupt nicht vorzustellen imstande
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