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Wer mit Hunden schläft - Roman

Wer mit Hunden schläft - Roman

Titel: Wer mit Hunden schläft - Roman
Autoren: Picus-Verlag
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nach dem Zwicken der Fahrkarte eingeschlafen wäre. Vielleicht wäre ihr dann schlecht geworden und sie hätte gesagt: Entschuldigen Sie bitte, Herr Schaffner, mir ist schlecht. Das passiert ja öfter, dass einem Fahrgast schlecht wird über den Semmering. Da hab ich schon Routine. Aber sie hat sich ja unbedingt in ein leeres Abteil setzen müssen. Hat mich noch gebeten, sie zu einem Abteil zu begleiten, wo sich höchstwahrscheinlich keiner dazusetzen würde. Bestimmt hätte ich sonst noch rechtzeitig Hilfe holen können und sie wäre jetzt noch am Leben. Wie man so leichtfertig und unverantwortlich mit seinem Leben umgehen kann. Sein Leben so sinnlos aufs Spiel zu setzen, also wirklich. Und dann die Verzögerung, die dadurch unnötigerweise hervorgerufen wurde. Das hätte alles nicht sein müssen. Und dann heißt es wieder: Ja ja, die ÖBB ’ler, typisch Beamte. Pünktlich sind die nur, wenn sie sich um halb acht in der Früh das erste Bier aufreißen und so weiter. Das kennt man ja. Diese Gehässigkeiten. Dass einem in Wirklichkeit während der Fahrt die Leute ausbluten, das interessiert wieder keinen. Danach fragt hinterher kein Mensch. Der Vorhang hat natürlich auch zu sein müssen. Ausdrücklich hat sie darauf bestanden, dass der Vorhang die ganze Fahrt zugezogen bleibt. Dabei versuche ich sowieso so diskret wie möglich zu sein. Die Leute in den Abteilen nur zu stören, wenn die Karten zum Zwicken sind. Mit dem Vorhang habe ich dann notdürftig das Blut auftunken müssen. So kann man das ja nicht lassen. Irgendwann ist ja auch der dickste Polster angesoffen, dass nichts mehr geht. Man glaubt ja nicht, wie viel Blut in so einem Menschen drinnen ist. Bis es einmal heraußen ist aus ihm, dann sieht man es. Da saugt sich der dicke Rock, die Strumpfhose und der Sitzpolster voll und noch immer rinnt eine solche Menge auf den Boden, dass eine richtige Lacke daraus wird, die man mit dem Abteilvorhang kaum wegwischen kann. Und das Klopapier in den Zugklos ist so dünn, dass es sich beim Auftunken sofort in der Blutsuppe auflöst.
    ROT, ROT, ROT SIND ALLE MEINE KLEIDER , hat die Mutter dem Norbert immer vorgesungen.
    Der Probodnig hat dann eine angeblich schöne Messe in der Pichlberger Pfarrkirche abgehalten, wie er im seinerzeitigen Brief an den Norbert geschrieben hat. Der Leitenbauer hat sogar einen Leichenschmaus ausgerichtet, was der Leitenbauerin gar nicht recht gewesen ist wegen der Kosten, die ihrer Meinung nach unnütz gewesen sind, weil, was gibt es Unnötigeres als für einen fremden Tod ein Geld hinzulegen. An den Tischen hat man überall hören können, das arme Kind und die arme Frau und der arme Schaffner, der sie gefunden hat. So was vergisst man ja sein Lebtag nicht mehr. Blutbad hat man gehört und abgegangenes Kind und tragisch. Tragisch. Immer wieder: Tragisch. Ein tragisches Unglück und wie denn so etwas überhaupt passieren kann. Dabei ist sie ja noch so jung gewesen. Das geht einem einfach nicht ein.
    »Alles löst sich auf, Kreisky. Nur nicht in WOHLGEFALLEN , wie die Mutter immer gesagt hat, sondern in gar nichts. Wie sich auch die Therapiesitzungen bald in gar nichts auflösen werden. Es ist sowieso nie alles gesagt. Nie ist alles ausgesprochen. Erst das Ausgesprochene kann bewältigt werden, sagen sie mir, Kreisky. Ein Neustart ist durchaus im Bereich des Möglichen. Eine Abgrenzung von dem. Eine Befreiung, eine Zukunft durchaus auch, sagen sie mir, Kreisky. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Eine Abzweigung in eine andere Richtung, die man vorher nicht erkannt hat, kann immer eingeschlagen werden. Alternativen können immer entdeckt werden, sagen sie mir. Weißt du was, Kreisky, sag ich, als ob das Ausgesprochene dann nicht mehr in einem drinnen ist, oder? Als ob das Ausgesprochene dann nicht mehr denkbar ist. Als ob das, was passiert ist, nicht mehr denkbar ist, wirklich wahr. Dabei ist das, was passiert ist, logischerweise immer neu denkbar, oder? Ist das Ausgesprochene immer wieder zu überdenken und immer wieder zu hinterfragen, nicht wahr, Kreisky? Wird dadurch brandaktuell, wie man so schön sagt, und immer wieder aufs Neue erlebbar, das ist ja das Schreckliche! So lange geht das, bis du dich selbst in gar nichts und erst dann in Wohlgefallen auflöst, wirklich wahr«, sagt der Herr Norbert. »Als Erstes lösen sie dein Dienstverhältnis auf. Damit lösen sich automatisch die Kontakte zu deinen Kollegen auf, die dir zwar die Hand schütteln, bevor du aus dem Firmengebäude
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