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Wer mit Hunden schläft - Roman

Wer mit Hunden schläft - Roman

Titel: Wer mit Hunden schläft - Roman
Autoren: Picus-Verlag
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ist. Am Boden neben dem Frühstückssessel des Herrn Norbert hat der Kreisky zu liegen. Der Kreisky ist der Rauhaardackel des Herrn Norbert und gleichzeitiger Lebensgefährte und einziger Freund. Nur mit dem Kreisky, und sonst niemandem, pflegt der Herr Norbert täglich sein Frühstück einzunehmen. Nur mit dem Kreisky, da ist sich der Herr Norbert sicher, ist es möglich, ein vernünftiges Gespräch zu führen. Das sind die Zutaten eines typischen Norbert’schen Frühstücks. Seit einigen Tagen liegt zwischen dem Stoß Tageszeitungen und dem Häferl Häferlkaffee ein Brief von der Pensionsversicherungsanstalt. Seit drei Tagen also schaut der Herr Norbert den geschlossenen Brief an und hat es nicht geschafft, ihn zu öffnen, obwohl die Mutter immer gesagt hat, WAS DU HEUTE KANNST BESORGEN et cetera. Der Hauptgrund, den Brief der Pensionsversicherungsanstalt nicht zu öffnen, ist für den Herrn Norbert die Tatsache, dass die zwei Briefe, die er bis jetzt sein Lebtag erhalten hat, Schreckensnachrichten waren. Außerdem war ein solcher Brief der Pensionsversicherungsanstalt, den ein ehemaliger Arbeitskollege erhalten hatte, für diesen quasi sein Todesurteil. Der rief, bevor er sich umbrachte, täglich bei ihm an. Wo er früher als Arbeitskollege kein Wort mehr als die üblichen Höflichkeiten wie Guten Morgen, Mahlzeit und Auf Wiedersehen zu ihm gesagt hatte. Dem Herrn Norbert der Kollege nur in der Kantine sitzend und stumm Wurstbrote kauend in Erinnerung geblieben war. Nach der Kündigung und dem folgenden negativen Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt auf seinen Antrag, war er gezwungen, eine Stelle als Eintrittskartenabreißer in einem Großkino anzunehmen, zu dem er vom Arbeitsmarktservice zur Vorstellung hingeschickt worden war, wie er dem Herrn Norbert erzählt hat. Anscheinend war ihm das Grund genug, den Herrn Norbert quasi tagtäglich anzurufen und sich bei ihm über diese, wie er gesagt hat, ihm aufgezwungene Anstellung zu beschweren. Eine Schinderei, eine Sklaverei, eine Entwürdigung des Menschen sei diese Arbeit demnach gewesen. Dieser Zwitter aus Großkino und Einkaufszentrum sei ein Wohlfühl- KZ der Freizeitindustrie für geistig Zurückgebliebene. Für freiwillig Mongoloide und so weiter, wie er am Telefon gesagt, geschrien hat schon zum Schluss. Dann hat er sich erstochen. Aus diesen Gründen vermeidet es der Herr Norbert, den Brief der Pensionsversicherungsanstalt zu öffnen. Beizeiten, denkt er sich, beizeiten.
    Natürlich ist mir klar, dass Sie auf gerichtliche Weisung hier sind. Keine Frage, das will ich ja gar nicht abstreiten. Trotzdem werden Sie hier so behandelt wie jeder andere, der freiwillig zu uns kommt. Es schadet ja nicht, ganz im Gegenteil! Die Therapie kann nur zu Ihrem Nutzen sein. Sehen Sie den Nutzen für sich. Holen Sie sich heraus, was wichtig für Sie ist. Glauben Sie mir, ich spreche aus Erfahrung. Die Erfahrung zeigt mir, dass die Therapiestunden, auch die verordneten, eine erhebliche Hilfestellung bei der Bewältigung des Alltags für den Klienten bewerkstelligen können. Der Wille jedoch ist Grundvoraussetzung. Ohne Wille geht nichts, das müssen Sie einsehen. Das Gericht kann Sie zwingen, hier zu erscheinen, es kann Sie nicht zwingen, sich helfen zu lassen, nicht wahr? Ich sage immer: Die Wunde gehört ausgeblutet. Viele bezeichnen mich als zu hemdsärmelig, aber genauso ist es: ausbluten, reinigen, verbinden, heilen. Die meisten lassen es nicht bluten. Sie verkleben die Wunde, damit keiner sie sieht, und zack, schon haben Sie den Eitersalat. Ohne Ausbluten geht gar nichts, wie gesagt. Sie müssen ja nicht mit mir reden. Sprechen Sie einen Dritten an, wenn Sie sich leichter tun. Eine Vertrauensperson. Viele tun sich da leichter. Natürlich! Warum nicht? Der Hund, der beste Freund des Menschen! Heißt’s doch, nicht wahr? Sie wissen nicht, wo Sie anfangen sollen? Wo und wann sie wollen!
    Vor dreißig Jahren hielt der Herr Norbert den Brief, der ihm vom damaligen Erzieher des Arnautovič Kinderheims ausgehändigt worden ist, erstmals in seinen Händen. Vor dreißig Jahren also berichtete man ihm von dem tragischen Unglück, das ihm der Pichlberger Pfarrer, der Pfarrer Probodnig, in diesem Brief beschrieben hat.
    Lieber Norbert, hat der Pfarrer Probodnig geschrieben, leider muss ich Dich über ein tragisches Unglück Deine Mutter betreffend unterrichten, welches in ihrem Tod resultierte. Genau so und nicht anders hatte der Pfarrer Probodnig entschieden, den
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