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Wer lügt, gewinnt

Wer lügt, gewinnt

Titel: Wer lügt, gewinnt
Autoren: Patrícia Melo
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sie regungslos an Deck, sieh nur, diese weiße Erhebung dort im Wasser, sagte sie, das ist er. Und in den darauffolgenden Tagen gab es dann zum Frühstück, am Swimmingpool, im Spielcasino nur noch dieses eine Thema, sie konnte einfach nicht aufhören, den Mitgliedern der Schiffsbesatzung, von denen viele gar nicht wußten, worum es ging, Fragen über den Hai zu stellen, sie bestand darauf, doch, da ist einer, sagte sie, es gibt einen Hai, der hinter unserem Schiff herschwimmt. Hör auf, über diesen Hai zu reden, sagte ich, das ist doch eine Geschichte ohne Hand und Fuß, du überspannst den Bogen, weißt du denn nicht, daß die Leute Haie nicht ausstehen können? Sie versprach mir, damit aufzuhören.
    Und tatsächlich hörte sie auf, doch zum Ausgleich wurde sie immer trübsinniger, die ganze Zeit über schwieg sie, bei den Abendessen, den endlosen Abendessen mit anschließendem Tanz bekam sie den Mund nicht auf, sie aß nicht, tanzte auch nicht, die ganze Zeit schwieg sie, ich führte unerschütterlich Konversation, nahm die Ausländer in Kauf, fragte, was ist los, Ingrid? Und sie sagte mit tränenfeuchten Augen, sie wisse es nicht, hör auf zu fragen, sagte sie, sonst fange ich auf der Stelle an zu heulen, hier vor diesen Amerikanerinnen im Abendkleid.
    Ich habe nie verstanden, warum sich das Verhalten der Menschen ändert, sobald sie ihr Ziel erreicht haben. Ein ganzes Jahr lang hatte ich Ingrid sagen hören, daß sie mich heiraten wolle, daß sie meine Herrin werden wolle, sie wollte sich meinen Namen in die Schamleiste tätowieren, mir ein Halsband anlegen, und nun war ich da, bereit, ich lag ausgestreckt auf dem Bett, zu ihrer Verfügung, empfänglich, es fehlte wirklich nur das Halsband, und was tat sie? Sie heulte.
    Ich versuchte es, strengte mich an, erzählte Witze, tanzte, ich kaufte ihr sogar Schmuck beim Schiffsjuwelier, aber nichts konnte Ingrids Gemüt aufhellen.
    An unserem letzten Abend bestellte ich ein besonderes Abendessen bei Kerzenschein in unserer Kabine. Ich nahm ein ausgiebiges Bad, um mich zu entspannen, ich wollte gut aufgelegt sein, den Abend mit Ingrid angemessen verbringen. Als ich aus dem Bad kam, saß sie auf unserem Bett, sie war schön, trug ihr langes, schwarzes, ärmelloses Kleid. Du siehst umwerfend aus, sagte ich. Das ist für dich angekommen, sagte sie und zeigte mir ein Blatt Papier. Es war ein Fax von Laércio mit der neuesten Erhebung über die meistverkauften Bücher in Brasilien. Im Gespräch mit dem Schöpfer, Platz eins. Neunhunderttausend verkaufte Exemplare. Verträge für die Übersetzung in achtzehn Ländern. Dieses Fax, sagte sie, macht mir ein ungutes Gefühl. Was für ein Gefühl? fragte ich. Ich weiß nicht, sagte sie, vielleicht Angst. Neunhunderttausend verkaufte Exemplare, sagte ich, Angst wovor? Vor Veränderung, sagte sie. Ich fragte, ob sie mir irgendwas sagen wolle, nein, sagte sie. Bist du sicher? Absolut, sagte sie.
    Wir hielten uns eine Weile umschlungen, aber sie war gar nicht anwesend, sie war nur ein zitterndes Stück Fleisch.

47
    Laércio,
    ich bin wieder zurück. Du solltest öfter mal mit dem Schiff verreisen, noch nie habe ich so viele Frauen im Hawaii-Look gesehen, die noch zu haben sind. Ich bin hier im Verlag vorbeigekommen, um dir diese Flasche zwölf Jahre alten Whisky dazulassen (versuch bitte, ihn nicht vor Mittag zu trinken, please). Das Projekt Meditation für Männer, Meditation für Frauen und Engelsmeditation habe ich verworfen, ich möchte etwas von weitreichenderer Dimension. Ich schreibe jetzt an einem Buch der positiven Gebete, oder um es didaktischer zu formulieren, Gebete, die der negativen Seite des menschlichen Wesens, die in der pathologischen Disharmonie der Wirklichkeit immer präsent ist, ein Hindernis entgegenstellen. Das ist es. An die Arbeit. Liegt die Verkaufsbilanz schon vor? Ich warte darauf.
    Grüße, Guber
     
    PS: Ich habe das Material über die Sekte, das Du mir geschickt hast, noch nicht gelesen. Aber Ingrid ist schon mit dem Projekt befaßt. Sie wird Dir in Kürze Bescheid geben.
     
    Juan Goycochea verhaftet – Schlangengiftbande zerschlagen, gab der Nachrichtensprecher im Fernsehen bekannt. Ingrid, sagte ich, komm her und sieh dir das an.
    Wir wollten gerade ins Bett gehen, Ingrid erschien mit der Zahnbürste in der Hand in der Badezimmertür, komm her, sagte ich, sie haben die Mörder von Fúlvia festgenommen. Ingrid setzte sich neben mich vor den Fernseher. Goycochea ist der Dicke da, sagte ich, ich
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