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Wer lügt, gewinnt

Wer lügt, gewinnt

Titel: Wer lügt, gewinnt
Autoren: Patrícia Melo
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bin gerade dabei, Ihre Anregung, eine persönlich gehaltene Erzählung zu schreiben, zu verwerten. Dazu möchte ich Ihnen sagen, daß ich Ihre Anregung sehr positiv fand.
    Stellen Sie sich einen dicken Pfarrer mit unschuldigem Gesicht vor, der in der Ichform die folgende Geschichte erzählt:
    Eine Schauspielerin ist ermordet worden. Drei Personen haben den Mörder im Flur des Theaters, der zur Künstlergarderobe führt, gesehen. Ich bin eine dieser Personen gewesen. In der Passage war es einigermaßen dunkel, keiner konnte genau sehen, was geschah. Die Ermittlungen beginnen. Wir werden vor den Richter gerufen, um auszusagen. Der erste Zeuge sagt folgendes: Ich bin mir sicher, daß der Mörder eine Frau war. Von ihrem Kopf stand irgend etwas Merkwürdiges ab, Haar vielleicht, wenn man so was als Haar bezeichnen kann. Der zweite Zeuge erklärte, er wisse nicht, ob der Mörder eine Frau oder ein Mann gewesen sei. Der Mörder habe eher wie ein Raubtier ausgesehen. Das Tier sei stämmig gewesen und habe einem Orang-Utan geähnelt. Als der Richter mich fragte, ob ich den Mörder ebenfalls gesehen hätte, bejahte ich. Der Mann, den ich gesehen habe, war ich selbst, sagte ich. Wie das? fragte der Richter. Am Ende der Passage befand sich ein Spiegel, sagte ich, in der Nähe der Stelle, wo die Leiche der Frau lag, deshalb war der Mann, den ich gesehen habe, ich selbst, es war mein eigenes Bild, das der Spiegel zurückgeworfen hat. Das heißt, sagte der Richter, daß der erste Zeuge, als er dieses Tier mit den Dingen, die von seinem Kopf abstanden, sah, sich selbst beschrieben hat? Ja, sagte ich. Das bedeutet, fragte der Richter, daß dieser Herr, der den stämmigen Orang-Utan gesehen hat, in Wirklichkeit sich selbst im Spiegel erblickte?
     
     
    Von: Wilmer da Silva         An: José Guber
     
    Guber, selbst ein Kind weiß, daß diese Geschichte keinen Roman ergibt. Es fehlt ihr an Fleisch. Sie haben nur noch zehn Tage, um mir ein Buch abzuliefern.
     
    Sie ist nicht zur Arbeit erschienen, sagte das unscheinbare weibliche Wesen im Empfang vom Institut.
    Draußen strahlte die Sonne, und ich wußte nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Ich konnte lediglich Fúlvias Slip in meiner Tasche zerknüllen und Kaffee trinken, einen nach dem anderen, Kaffee mit Süßstoff, insgesamt acht Espresso, ich hörte nur wegen des Herzrasens auf. Eine Sonne zum Verrücktwerden. Ich ging zu einem öffentlichen Fernsprecher und tat etwas, das ich bis zu diesem Augenblick noch nicht zu tun gewagt hatte. Ich rief bei Fúlvia zu Hause an. Eine Männerstimme war am Apparat. Ich legte auf.
    An der Tür zum Institut blieb ich stehen, ohne zu wissen, was ich tun sollte; ich wollte ihr sagen, daß einer Frau, wenn sie mit dem Gedanken spielt, ihren Mann umzubringen, zuerst einfällt, einen Überfall vorzutäuschen. Eine klassische Szene, sie läßt die Küchentür offen, der Mörder schlüpft heimlich hinein, geht ins Wohnzimmer, und noch bevor der Ehegatte überhaupt begreift, was gerade passiert, ist er auch schon tot. Die Ermittlungen beginnen, und sie entdecken, daß die Tür zur Küche nicht aufgebrochen worden ist, daß die Kinder am Tag des Verbrechens bei der Großmutter übernachtet haben, und den Hund haben sie mitgenommen, und die Köchin hatte an diesem Abend frei. Die Art und Weise, wie die Polizei den Mörder findet, ist ebenfalls klassisch. Während eines Blitzeinsatzes in einer Favela verhaftet die Polizei einen Jungen, als er gerade Drogen kauft. In seiner Brieftasche ein von der Witwe ausgestellter Scheck. Gerichtsverhandlung und Verurteilung. Das war es, was ich Fúlvia erzählen wollte. Ich rede mit deinem Mann, wenn du willst. Wir besorgen dir einen Anwalt. Du ziehst zu mir in die Wohnung, bis sich alles beruhigt hat. Das wollte ich sagen.
    In dem Moment ging die Tür vom Institut auf, und Fúlvia erschien im Garten. Mir fiel auf, daß ihr rechter Arm verbunden war. Auf dem anderen trug sie zwei Mäusekäfige. Sie betrat das Terrarium. Die Schlangen, die auf dem Rasen verteilt lagen oder sich um die Äste der Bäume gewunden hatten, reagierten nicht auf ihre Anwesenheit. Fúlvia bückte sich und ließ die Mäuse aus den Käfigen frei. Erst da bemerkte sie mich. Ich ging auf sie zu. Sie lehnte sich an das Mäuerchen des Terrariums und fragte, ob ich schon mal gesehen hätte, wie Schlangen angreifen. Es ist schön, sagte sie. Mir fiel ein Schnitt mit einem bläulichroten Fleck an ihrer rechten Augenbraue auf. Wie ist das
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