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Wer lügt, gewinnt

Wer lügt, gewinnt

Titel: Wer lügt, gewinnt
Autoren: Patrícia Melo
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passiert? fragte ich. Fúlvia seufzte niedergeschlagen, sie sagte, die Dinge würden sich immer mehr zuspitzen, und es wäre besser, wenn wir uns nicht mehr sähen. Geh, sagte sie, verschwinde. Es ist besser so.
    Ich ging nicht. Verschwand nicht. Und um die Wahrheit zu sagen, dachte ich nicht im Traum daran.
    Laß uns zu mir gehen, schlug ich vor, mit diesem Arm kannst du sowieso nicht arbeiten.

7
    Wilmer, Herausgeber der Reihe Feuerspeier, las mir, auf der Tischkante sitzend, mit lauter Stimme ein weiteres Exposé vor, das ich ihm am vorangegangenen Morgen in aller Herrgottsfrühe zugeschickt hatte. Hören Sie bloß das hier, Guber. Ich werde Ihnen mal den Blödsinn vorlesen, den Sie geschrieben haben: »Vor uns haben wir eine alte Wucherin, hinfällig und unnütz. Wenn Igor, ein mittelloser Student, sie umbringen würde, könnte er ihr Geld rauben und etwas tun, das für die Gesellschaft von Nutzen wäre. Wie wäre ein solches Vorgehen zu beurteilen? Ist es lediglich ein Verbrechen? Igor könnte mit dem Geld der Alten studieren, Philosoph werden, ein Denker, Schöpferisches vollbringen, Revolutionäres. Die Alte ist, wie gesagt, ein wertloses Stück Fleisch, eine, die den Armen das Blut aussaugt, wozu taugt ein solcher Mensch schon? Wozu ist sie der Gesellschaft nütze? Zu nichts, das steht fest. Wird Igor die Alte töten? Ja, Igor wird die Tat begehen. Igor bringt auch noch die Schwester der Alten um, ebenfalls eine Parasitin, so daß wir es nicht nur mit einem, sondern mit zwei überaus blutrünstigen Verbrechen zu tun haben. Igor bleibt unbehelligt. Und nun beginnen seine Qualen. Gewissensbisse und Reue. Ein kluger Polizist, Fjodor Negrev, sieht den Moment kommen, in dem diese Ausgeburt der Menschheit vom Gewissen gepeinigt die Schuld an dem Verbrechen auf sich nehmen wird.« Sagen Sie mal ehrlich, finden Sie das spannend? Eine Geschichte, die in Rußland spielt; ich habe noch nie etwas vom russischen Kriminalroman gehört, sagte er. Ich glaube, die wissen nicht mal, was das ist, mit Rußland ist es doch vorbei. Sie nennen mich Vilmer? Seit fast zwei Jahren sind Sie jetzt hier und wissen immer noch nicht, wie ich heiße? Mein Name kommt aus dem Englischen, Ullmer, das W hört sich wie U an. Sie sagen ja auch nicht Vashington, sondern Uashington. Mit meinem Namen ist es genauso. Meine Mutter war nämlich Engländerin. Für unsere Leser ist es seit dem Fall der Berliner Mauer mit Rußland vorbei, so sieht es aus. Wer will schon was von Schuld und Sühne wissen? Wir wollen Action. Blut. Gewalt. Sie haben bereits vierzehn Bücher geschrieben und das immer noch nicht kapiert? Haben Sie nicht Van Dines Regeln gelesen? Sie stehen bei uns an der Wand, die Regeln von Van Dine. Ein Krimi braucht eine Leiche, und je toter sie ist, desto besser. Und es darf nicht eine x-beliebige Leiche sein. Wie wollen wir wohl das Rachegefühl bei unseren Lesern wecken, wenn es eine lästige, überflüssige alte Schachtel ist, die umgebracht wird? Wenn so ein altes Weib stirbt, klatschen die Leute doch Beifall. Und noch etwas: ein spektakuläres Verbrechen ist eines, das von einem Stützpfeiler aus Kirche oder Politik verübt wird, von einer Nonne, einer von Berufs wegen mildtätigen Person, einem Gouverneur, Van Dine hat das behauptet, es steht an der Wand, man muß es nur lesen, und Sie liefern mir als Mörder einen dummen, abgebrannten Studenten, der zu allem Überfluß auch noch Russe ist? Sie müssen nur mal Van Dines Regeln lesen. An der Wand stehen sie geschrieben, goldene Regeln, und die wichtigste ist: ein Detektivroman muß einen Detektiv haben, jemanden, der die Spuren zusammenträgt und auf denjenigen zeigt, der das Schlamassel angerichtet hat. Wenn der Leser schon weiß, wer die Alte getötet hat, wozu dann noch der Detektiv?
    Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, Wilmer um einen Vorschuß zu bitten, und nun mußte ich mich in aller Stille und mit leeren Händen trollen. Es herrschte nicht das richtige Klima an diesem Tag. Wilmer schaute mich in letzter Zeit immer mit einem sehr eigenartigen Gesichtsausdruck an. Vielleicht wußte er, daß ich pleite war.
    Die neue Sekretärin von Wilmer war auf dem Flur, als ich ging. Bildschöne Beine. Der Typ ist durch und durch Mulatte, sagte sie, und erzählt ständig, er sei Engländer; daß ich nicht lache, Engländer, er ist ein Mischling. Der Kerl hat gelbe Augen wie ein Schwarzer und faselt davon, er sei Engländer. Ich habe noch nie einen englischen Mulatten gesehen. Ich bin eine
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