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Wer ist eigentlich Paul?

Wer ist eigentlich Paul?

Titel: Wer ist eigentlich Paul?
Autoren: Anette Göttlicher
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das jeden Morgen tun. Die Choreographie ist perfekt und doch kein bisschen langweilig.
    Etwa zwei Stunden, nachdem ich den Klingelknopf an Pauls Wohnungstür gedrückt habe, sitze ich mit Waschfrauenfingern, nassen Haaren und glühenden Wangen auf seinem roten Sofa. Nippe an naturtrübem Apfelsaft und rauche.
     
    «Marie», sagt Paul, nimmt meine Hand und sieht mir ernst in die Augen, «Marie, ich muss dir etwas gestehen.» Jetzt kommt’s. Ganz ruhig, Marie.
    «Du hast dich sicher schon gewundert, warum ich mich so unregelmäßig melde, warum ich manchmal nicht auf deine SMS oder Mails antworte. Und bestimmt fragst du dich, warum ich dich noch nicht meinen Freunden als meine Freundin vorgestellt habe, warum wir uns nicht häufiger sehen   … Ich gebe zu, ich habe mich oft ziemlich mies verhalten dir gegenüber», fährt Paul fort, und sein Gesicht drückt echte Zerknirschung aus. Ich halte den Atem an, schon zum zweiten Mal an diesem Tag.
    «Weißt du, Marie – du bist wirklich eine tolle, faszinierende, wunderschöne, aufregende Frau. Ich glaube, ich habe noch nie jemanden so gemocht wie dich.»
    Gemocht??? Schluck. Er
mag
mich. Ein Satz, der schön klingt. Doch die Grausamkeit liegt im Detail. Mögen ist in diesem Fall nicht eine Form von Lieben, sondern das Gegenteil. Und wirftsomit alle meine heimlichen rosaroten Zukunftspläne über den Haufen. Ich weiß, was jetzt folgt. Er mag mich, und er fände es wahnsinnig klasse, wenn wir gute Freunde werden könnten. Am besten solche, die das mit Platon nicht so eng sehen und sich ab und zu miteinander im Bett vergnügen. Am liebsten würde ich jetzt von Pauls rotem Sofa aufspringen, aus seiner Wohnung stürzen, die Tür hinter mir zuknallen und mich mindestens eine Woche lang mit Pfefferminztalern, Alkohol und «Wenn das Liebe ist» von Glashaus in meinem Bett verkriechen. Wie kann er mir das antun? Bevor ich reagieren kann, spricht Paul weiter: «Um ehrlich zu sein, bin ich total verliebt in dich, Marie. Ich bin wahnsinnig gerne mit dir zusammen, unterhalte mich mit dir, höre dir zu. Ich träume davon, mit dir ganz banale Dinge zu tun – Skifahren zu gehen, in einer billigen Pizzeria zu essen, im Sommer in den Bergen zu wandern oder in einem See zu baden. Ich begehre dich maßlos und bin eigentlich ständig scharf auf dich. Ich habe mich lange erfolgreich gegen diese Einsicht gewehrt, Marie – aber ich glaube, ich liebe dich.»
    Mein Kopf ist komplett leer. Also äußere ich nur ein unartikuliertes «Mmpf» und lasse Paul weiterreden. Er nimmt einen tiefen, nervösen Zug von seiner Zigarette, zerdrückt sie dann sorgfältig im Aschenbecher und sieht mir wieder in die Augen, als er fortfährt: «Es gibt da nur ein kleines Problem. Ich weiß nicht, ob es eine gemeinsame Zukunft für uns gibt. Es hat nichts mit dir zu tun, es ist mein Problem, und es war quasi schon da, bevor ich dich kennen lernte. Marie, ich werde mit ziemlicher Sicherheit aus Deutschland weggehen. Ich habe ein Angebot bekommen, Pressearbeit für eine Hilfsorganisation. Wenn alles klappt, sitze ich am ersten Oktober im Flugzeug.»
    Ich bin von erstaunlicher Klarheit. Kein hysterischer Heulanfall, keine Flucht, kein Kreislaufkollaps. Ruhig und gelassen höre ich mich fragen: «Wo? Für wie lange?»
    «Lesotho, Südafrika. Für zwei Jahre.»
    «Und   … deshalb willst du keine Beziehung mit mir, Paul?»
    «Ich weiß es nicht genau. Vielleicht denke ich da zu rational. Aber ich bin immerhin schon fast zehn Jahre älter als du.» Das wäre jetzt nicht nötig gewesen. Alter Sack, du.
    «Marie, ich hatte schon einmal eine Fernbeziehung. Ich habe dir doch mal von Mia erzählt, meiner Exfreundin aus Schweden. Es war ‹nur› München-Stockholm, aber es ging nicht gut. Und ich habe es gehasst. Diese Sehnsucht, das ewige Warten, die Telefoniererei, die Missverständnisse, die hohen Erwartungen bei den seltenen Treffen. Wenn ich mit einer Frau zusammen bin, will ich mit ihr leben und nicht alle paar Wochen zwei Tage mit ihr verbringen. Ich bin zu alt für eine Fernbeziehung. Ich will das einfach nicht mehr.»
    In mir brennen Fragen. Was, wenn ich mitkäme? Was, wenn du hier bliebst, Paul? Aber ich kenne die Antworten. Ich kann hier nicht weg. Ich muss mein Studium beenden und meine Karriere vorantreiben, wenn ich in der Branche Fuß fassen will. Ich kann und will mich nicht von einem Mann abhängig machen. Und Pauls Problem ist eigentlich ein Traum: sein ganz eigener Traum von Abenteuer und
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