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Wer ist eigentlich Paul?

Wer ist eigentlich Paul?

Titel: Wer ist eigentlich Paul?
Autoren: Anette Göttlicher
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verschollen, die Sporthose ist frisch gewaschen, und du bist weder erkältet noch schwanger.
     
    Laufen macht den Kopf frei, denke ich verbissen, als ich mich über die noch nicht vom Schnee geräumten Wege des Nymphenburger Parks kämpfe. Lau-fen-macht-den-Kopf-frei. Eins-zwei-eins-zwei-eins-zwei. Links-rechts-links-rechts-links-rechts. Will-dass-Paul-mich-an-ruft. Ach was. Von wegen Kopf frei. Ichstampfe die Worte quasi in mich rein. Und bekomme Seitenstechen, weil ich bei «Paul» zusammengezuckt und aus dem Tritt gekommen bin.
    Immerhin ist es schon nach halb acht, als ich nach dem Laufen geduscht habe und mich, schon ein paar Kilo leichter fühlend, in meiner Küche sitze.
    Zeit, mich meiner wissenschaftlichen Arbeit zu widmen. Meine ständig wachsende Verzweiflung lässt mich den Outlook-Button auf meinem Laptop ignorieren und kreativ werden. Ich lese mir durch, was ich so geschrieben habe, und finde es zum Teil richtig schlau. Diese Marlen Haushofer war eine interessante Frau. Schade, dass sie seit über zwanzig Jahren tot ist. Ich hätte mich gerne mal mit ihr unterhalten. Über Männer und Frauen, über das zwanghafte Nachdenken und die dunklen Seiten der Menschenseele.
     
    Gegen zwei Uhr nachmittags mache ich mir einen Milchkaffee, rauche nervös und frierend eine Zigarette auf dem Balkon und erlaube mir dann – schlechter kann mir sowieso nicht werden   –, das erste Mal an diesem schon so langen Tag meine Mails zu checken. Auch den Parkuhr-Account.
    Didldidim. O mein Gott. Tief durchatmen. «Sie haben 1 neue Nachricht». Schluck. Klick. Ganz ruhig, Marie. Du hast nichts zu verlieren. Nach diesem Seelen-Strip ist es entweder aus, oder es wird besser.
     
    Liebe Marie,
    jetzt bin ich wieder da. Ich hatte einen etwas heiklen Auftrag für ein österreichisches Magazin zu erledigen.
    Also doch der österreichische Geheimdienst! Ha. Mein Instinkt hat mich nicht im Stich gelassen.
    Tut mir Leid, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe.
    Mir auch, Paul. Du ahnst gar nicht, wie sehr.
    Ich habe die Parkuhr gelesen. Ich danke dir. Du bist wirklich eine ganz besondere Frau.
    Marie, du fehlst mir. Ich sehne mich danach, mit dir zu reden, bei dir zu sein, dich zu spüren, zu küssen. Und – sei mir bitte nicht böse – mir fehlt auch der Sex mit dir. Dich anzufassen, von dir angefasst zu werden, dich anzuschauen, dir zuzusehen, in dir zu sein   … du bist wie eine Droge.
     
    Nein, Paul, ich bin dir nicht böse. Mir geht es doch genauso. Ich habe mir sogar schon überlegt, ob ich mit dir überhaupt eine Beziehung leben könnte – gerade weil das zwischen uns so magisch ist, so umwerfend, so   … körperlich. Ich bin ein Kopfmensch, auch wenn meine Emotionen mich manchmal zum Teenager machen. Ich habe bestimmte Vorstellungen davon, wie eine Beziehung, aus der später mal eine Familie oder so etwas werden kann, auszusehen hat. Sie sollte auf Ähnlichkeiten aufbauen, auf geistiger Vertrautheit, auf Verständnis, auf gemeinsamen Zielen und Vorstellungen vom Leben. Nicht, dass es das zwischen uns nicht gäbe. Aber da ist auch diese unglaubliche Anziehung, dieses gewisse Etwas an dir, das mich willenlos und wild macht. Klar ist das die Verliebtheit, sind das die Hormone. Aber ich glaube zu wissen, dass es noch mehr ist. Mein Gott, hört sich das alles kitschig an. Verzapft man automatisch Plattitüden, wenn man das erste Mal im Leben so etwas erlebt? Oder äußert sich blinde Verliebtheit mit achtundzwanzig anders als mit vierzehn? Wie ist das dann erst mit zweiundvierzig? Aber so blind bin ich eigentlich gar nicht.
     
    Ich kenne dich noch nicht sehr lange und nicht besonders gut, Paul, aber ich habe schon ein paar Dinge an dir registriert, die mich stören. Zum Beispiel bist du Mister Unzuverlässig. Das Wochenende auf der Berghütte – ich kann mich noch genau an die Worte erinnern, mit denen du es mir ausgemalt hast. «Wirkönnen wandern gehen – falls wir überhaupt aus dem Bett rauskommen», hast du gesagt und dabei schelmisch gegrinst. Der Bergherbst ist längst vorbei, und ich warte immer noch auf dieses Wochenende. Die CDs, die du mir brennen wolltest, die Links, die du mir mailen wolltest, das Video von der Fußball-WM, das du mir organisieren wolltest. Nichts davon habe ich je bekommen. «Ich melde mich später» heißt bei dir: «Ich melde mich irgendwann wieder», «Lass uns diese Woche essen gehen» bedeutet: «Ich würde gerne mit dir essen gehen, wenn ich irgendwann mal Zeit habe.»
     
    All
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