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Wer ist eigentlich Paul?

Wer ist eigentlich Paul?

Titel: Wer ist eigentlich Paul?
Autoren: Anette Göttlicher
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bisschen, dass ich ihm gerne Glauben schenke und gut gelaunt meine Wohnung verlasse. Sogar meine runden Knie, die so etwaswie Kniescheiben höchstens erahnen lassen, sehen in meinem Spiegel annehmbar aus. Seit ich ihn habe, trage ich wieder Röcke, die über dem Knie enden. Und ich habe es noch nie erlebt, dass auf der Straße Leute mit dem Finger auf mich zeigten und sich amüsiert zuraunten: «Guck mal, die Frau ohne Kniescheiben, ich habe schon in der Abendzeitung von ihr gelesen, höhöhö!»
     
    Anyway. Ich werde das Kleid nicht kaufen. Vor einem Spiegel, der mich in die Breite zieht, ist von mir keine Kaufkraft zu erwarten.
     
    UARGH. Hilfe! Ich stecke fest. Ich bin im rosa Erdbeer-Sahne-Bonbon-Kleid gefangen! Ich ziehe und zerre, was die Rohseide aushält. Doch etwas klemmt da. Ich klemme. Es geht weder vorwärts noch rückwärts. Panik! Ich fange an zu schwitzen. Das Kleid scheint immer enger zu werden. Ganz ruhig, Marie, sage ich mir und mache eine Zerr-Pause. Erst mal nachdenken. Was kann ich tun? Das Kleid zerreißen? Mir ist danach. Aber über 200   Euro bezahlen, nur um bis an mein Lebensende ausreichend Putzlumpen aus rosa Rohseide zu besitzen? Hm.
    Alternative: Die Verkäuferin zu Hilfe rufen. Nein. Unmöglich. Zu peinlich. Meinen schwitzenden, blassen, unförmigen Körper von einer Größe 34 tragenden, sich das Grinsen verkneifenden Hallhuber-Elfe aus dem Kleid schälen lassen? Womöglich eröffnet sie mir danach noch zuckersüß lächelnd, sie habe das gewünschte Kleidungsstück auch in Größe 42 vorrätig. Ich müsste sie dann leider erschlagen. Ob das wohl als Notwehr durchgehen würde?
    Mein Nacken beginnt zu schmerzen. Ich muss etwas unternehmen. In drei Stunden schließen die Geschäfte.
    Mit einiger Anstrengung und unter akrobatischen Verrenkungen gelingt es mir, mein Handy aus der Tasche zu angeln und es in das rosa Kleid zu holen. Ich wähle Vronis Nummer. Mailbox.Mist. Ich hoffe, dass sie nur im Moment kein Netz hat, und spreche nach dem Pfeifton: «Vroni, ich bin’s. Bitte komm, so schnell du kannst. Hallhuber am Marienplatz, erster Stock. Zweite Umkleide von rechts. Es geht um Leben und Tod. Danke.»
    Ich schiele zwischen zwei Knöpfen hindurch nach der Uhr. 12   Uhr 58.   Bis viertel nach eins warte ich. Wenn Vroni dann nicht da ist, zerreiße ich das Kleid und freue mich über viele rohseidene Putzlumpen.
    10   Uhr. Puh. Nicht mal hinsetzen kann ich mich. Mein rechter Arm ist eingeschlafen, der Stoff des Kleides juckt auf meiner Haut. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mich das letzte Mal so unwohl in meinem Körper gefühlt habe. Vielleicht beim Freitagsschwimmen in der Grundschule, als ich kurze Haare hatte und die Sportlehrerin mich anschnauzte, ich solle mich gefälligst rüber zu den Jungs scheren, wo ich hingehöre.
    13   Uhr 17.   Die Zeit ist um. Ich atme tief durch und spanne die Muskeln an, um das rosa Erdbeer-Sahne-Bonbon-Gefängnis zu sprengen, da höre ich sie: «Marie? Bist du da drin?»
    Vroni. Mein Engel. Heaven Sent.
    «Ja-ha   …» Im doppelten Wortsinne bin ich da drin.
    Vroni schlüpft durch den Vorhang zu mir in die Folterkammer. Da ich nach wie vor nur rosa sehe, kann ich nicht ausmachen, ob sie mühsam ein Grinsen unterdrückt. Jedenfalls würde ich es ihr nicht übel nehmen.
     
    «Danke, Vroni!», sage ich aus tiefstem Herzen, als wir wieder an der frischen Luft sind.
    Und dann gehen wir Schuhe kaufen.

SONNTAG, 23.   FEBRUAR 2003 – AUF DER ROTEN COUCH
    Seit Tagen bedrückt mich dieses Wissen. Ich muss oft daran denken und es dann ganz schnell wieder verdrängen, damit es mir nicht die Laune verdirbt. Und es wird jeden Tag schlimmer.
    In meinem Kühlschrank befindet sich eine Tupperdose von Alexa. Darin ist ein Stück Schokokuchen mit Sahne vom letzten Essen bei ihr. Das Essen war vor drei Wochen. Ich kann durch den milchig weißen Deckel der Tupperdose schon erahnen, dass es dem Kuchen nicht mehr besonders gut geht. Ich könnte die Tupperdose öffnen, den verschimmelten Kuchen entsorgen, die Dose auswaschen und Alexa zurückgeben. Letzteres muss ich auf jeden Fall tun. Deshalb kann ich nicht einfach das ganze Ding in den Müll werfen. Doch mir graut vor dem verdorbenen Kuchen in der Tupperdose. Ich kann sie einfach nicht öffnen. Mir ist bewusst, dass Verdrängen und Hinausschieben in diesem Fall nicht die Ideallösung darstellt. Ich wohne auch schon seit zehn Jahren in meiner eigenen Bude und habe mich eigentlich daran gewöhnt, dass es
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