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Wer hat Angst vor Beowulf?

Wer hat Angst vor Beowulf?

Titel: Wer hat Angst vor Beowulf?
Autoren: Tom Holt
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einstürzen. Deshalb bin ich auch wieder rausgekommen.«
    »Das Höhlendach?«
    »Ganz schön gefährlich, wenn Sie mich fragen. Ich glaube, ich hab sogar gehört, wie es sich bewegt hat.«
    Der Ingenieur zog ein langes Gesicht, was allerdings nur wenig überzeugend wirkte. »Vielleicht sollten wir versuchen, es abzustützen«, schlug er vor. »Ich könnte reingehen und nachsehen. Sie brauchten natürlich nicht mitzukommen.«
    Hildy nickte energisch. »Nur zu!« ermunterte sie den Ingenieur. »Ach, was ich Sie noch fragen wollte: Wo ist hier eigentlich das nächste Telefon? Ich meine, falls wir irgendwelche Hilfe oder einen Unfallwagen rufen müssen …«
    Wie sie erwartet hatte, gefiel dem Ingenieur diese Frage überhaupt nicht. »Andererseits«, reagierte er etwas verhalten, »ist das wahrscheinlich eher ein Job für Fachleute.«
    »Das ist wohl wahr.«
    »Am besten lassen wir die Finger davon.«
    Hildy nickte nur.
    Es begann zu regnen, und die Männer vom Vermessungstrupp packten lautstark ihre Siebensachen zusammen.
    »Da wir im Augenblick sowieso nichts weiter unternehmen können, ist es wohl am besten, wenn ich die Jungs nach Hause schicke und Sie zurück nach Lairg fahre«, schlug der Ingenieur Hildy vor, und den Männern vom Vermessungstrupp rief er zu: »Kümmert euch darum, daß das Loch wieder abgedeckt wird!«
    Der alte Mann im Regenmantel erhob Einspruch, aber die anderen beachteten ihn einfach nicht und machten sich daran, die Plane wieder zu befestigen.
    »Wir sollten lieber warten, bis alle weg sind«, flüsterte der Ingenieur Hildy zu. »Andernfalls … Nun ja, sonst könnten die anderen in Versuchung geraten nachzusehen, ob es da unten nicht doch noch irgend etwas Wertvolles gibt …«
    »Da ist bestimmt nichts«, bekräftigte Hildy.
    Weder sie noch der Vermessungsingenieur wußten auf dem Rückweg nach Lairg viel zu sagen. Hildy erinnerte sich an eine Passage aus dem altenglischen Heldenepos Beowulf, die sie während ihres ersten Jahrs an der New York State Academy als Übersetzung hatte vorbereiten müssen. Es war die Geschichte des entlaufenen Sklaven, der in der steinernen Schatzkammer einer Erdhöhle einen kostbaren Kelch findet, ihn stiehlt und dabei einen schlafenden feuerspeienden Drachen weckt. Sie konnte sich sehr deutlich daran erinnern, fast Wort für Wort, und diese Episode hatte fraglos ein äußerst tragisches Ende gefunden.
    Ohne viel Federlesens setzte sie der Vermessungsingenieur in Lairg ab und fuhr dann verhältnismäßig schnell davon, was Hildy irgendwie verdächtig vorkam. Also rief sie die Polizei in Melvich an und erklärte langsam und deutlich, worum es ging. Als sie den Polizisten am anderen Ende der Leitung erst einmal davon überzeugt hatte, daß sie weder verrückt noch betrunken war, schien er nach einigen Rückfragen mit seinen Kollegen sogar ausgesprochen begeistert davon zu sein, womöglich einen vergrabenen Schatz bewachen zu dürfen. Jedenfalls versprach er ihr, den Streifenwagen umgehend dorthinzuschicken, sobald dieser von der Suche nach Annie Erskines Katze zurück sei. Hildy fühlte sich erleichtert und begab sich in die Hotelbar, wo sie sich einen doppelten Orangensaft mit Eis bestellte. Während sie daran nippte, holte sie die Spange hervor und blickte sich nach allen Seiten vorsichtig um, weil sie fürchtete, sie könnte von jemandem beobachtet werden. Aber der Barkeeper hatte sich bereits wieder zu seiner australischen Seifenoper in den Fernsehraum zurückgezogen, und Hildy war allein.
    Bei der Spange handelte es sich um ein höchst erlesenes Exemplar ihrer Art, vielleicht um die schönste, die Hildy je gesehen hatte. Die Formgebung war so schlicht, wie die Verzierung reichhaltig war, und sie erinnerte Hildy an etwas, das sie kürzlich in einem völlig anderen Zusammenhang gesehen hatte. Ganz allmählich wurde ihr die Großartigkeit ihrer Entdeckung wieder bewußt, und auch die damit zusammenhängende Aufregung kehrte zurück. Kaum hatte sie ihr Glas geleert, verließ sie die Bar, meldete ein R-Gespräch mit dem archäologischen Institut an und verlangte, den Direktor persönlich zu sprechen.
    »George?« begann sie mit ruhiger Stimme (er war für jeden, der nicht wenigstens den Rang eines langjährigen Dozenten bekleidete, schon immer nur ›Professor Wood‹ gewesen, obwohl er im Laufe seiner Karriere nie mehr als ein Ruderboot entdeckt hatte). »Hier spricht Hildy Frederiksen. Wie …? Ja, genau … und ich rufe aus Lairg an. L-A-I-R-G.« Sie bemerkte,
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