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Wer hat Angst vor Beowulf?

Wer hat Angst vor Beowulf?

Titel: Wer hat Angst vor Beowulf?
Autoren: Tom Holt
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zu klauen«, kicherte Prexz.
     
    Hildy rannte zum Strand hinunter. Das Schiff war schon weit draußen auf dem Meer, und die Riemen pflügten durch das schwarzrote Wasser. Wie ein Traum gleich nach dem Aufwachen davongleitet, so glitt auch die Naglfar davon, an den äußersten Rand der Welt, auf dem Weg zu einem Ort, der noch niemals auf einer Landkarte verzeichnet gewesen war. Auch jetzt noch, als sie dort stand und mit ihrem Schal winkte, glaubte sie, das Ächzen der Spanten zu hören, das Knirschen der Riemen in den Pinnen, das Schäumen des Kielwassers, während der scharfe Bug die Wellen zerteilte, die Stimmen der sich abmühenden Ruderer.
    »Ich nehme nicht an, daß irgend jemand daran gedacht hat, etwas zu essen einzupacken.« Konnte es Angantyrs Stimme sein, herübergeweht von einer Laune des Winds? Oder war es nur das Murmeln der See?
    »Du hast gesagt, du packst das Essen ein!«
    »Hab ich nicht!«
    »Hast du doch!«
    »Hab ich nicht, verdammt noch mal!«
    Und vielleicht war es nur der Schrei der Möwen, die in den Himmel hinaufstiegen, um den neuen Tag zu begrüßen. Aber vielleicht war es auch die Stimme des Königs, gerade noch am Horizont hörbar, die zum Zaubererkönig etwas von der Regel 48 sagte. Hildy stand da und lauschte, und die Sonne ging in unbeschreiblicher Pracht über dem Meer auf. Dann drehte sie sich um, schüttelte den Kopf und ging davon.
     
    Ungefähr sechs Monate später saß Hildy in ihrem Büro in der Fakultät für Skandinavische Studien an der Stony Brook University. Es war gut, wieder daheim auf Long Island zu sein, Tausende von Meilen entfernt von ihrem Abenteuer. Sie hatte eine Stelle als Ordentliche Professorin, auf die sie sich freute, und sie hatte die Druckfahnen von Arvarodds Saga, die sie korrigierte. Um den Hals hing ihr eine kostbare Goldkette mit einem Bernsteinanhänger; ein Duplikat, wie sie ihren Kollegen immer wieder versicherte, aber sie wußte, daß diese so ihre Zweifel hatten. Trotzdem wollte sie die Kette noch ein wenig länger tragen.
    Sie sah gerade die Post durch: drei Rundschreiben mit Konferenzdetails, zwei Briefe von norwegischen Universitäten, in denen sie gebeten wurde, nach Europa zu kommen und dort Vorlesungen zu halten, außerdem noch ein schmeichelhaftes Angebot von der Harvard University und eine Postkarte mit einer Briefmarke, die sie nie zuvor gesehen hatte. Hildy sah sich die Karte genauer an.
    Sie war von St. Andrews nachgesandt worden und in Altnordisch geschrieben. Hildy drehte die Karte um; auf der Vorderseite war einer große Burg abgebildet. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und sie kniff die Augen zusammen, um die krakelige Handschrift besser lesen zu können.
    ›Essen schlecht, Gesellschaft noch schlechter‹, stand dort. ›Mein Fenster ist mit einem X gekennzeichnet (siehe Foto). Schöne Grüße auch von Arvarodd. Ich hoffe, es geht Dir gut. Wir sehen uns in ungefähr sechzig Jahren. Alles Liebe und Gute, Dein Hrolf.‹
    Sie hob den Kopf und schaute aus dem Fenster. »Bis dann«, hauchte sie.
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