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Wer hat Angst vor Beowulf?

Wer hat Angst vor Beowulf?

Titel: Wer hat Angst vor Beowulf?
Autoren: Tom Holt
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…«
    Totenstille. Der Ingenieur schüttelte betrübt den Kopf. Amerikanerinnen, grübelte er nach, haben eben keinen Sinn für Humor.
    »Abgesehen davon, daß sich einst der schöne Prinz Charlie vor den Männern des Schlächters Cumberland in dem Schuppen versteckt hat, der heute als Wartehäuschen dient, und hier auch Montrose an die Covenanten verraten worden sein soll, ist das eine ansonsten völlig belanglose Gegend. Hieße es allerdings, Montrose sei hier nicht an die Covenanten verraten worden, wäre das allerdings schon ziemlich ungewöhnlich.«
    »So, so.« Die Archäologin rümpfte die Nase; sie hätte es besser wissen sollen, als ausgerechnet ihn zu fragen. »Also wissen Sie nichts über Riesen, Feen oder schottisches Brauchtum?«
    »In dieser Gegend«, fuhr der Ingenieur grimmig fort, »bedeutet schottisches Brauchtum, daß sich japanische Geschäftsleute nach geeigneten Standorten für Computerfirmen umsehen, ohne dabei natürlich jemals wirklich eine zu bauen. Haben Sie schon mal japanischen Whisky probiert? Sämtliche Hotels hier bieten ihn jetzt an. Was mich angeht, ziehe ich ihn der einheimischen Plörre durchaus vor.«
    Die Archäologin gab verzweifelt auf, und sie setzten die Fahrt für eine Weile schweigend fort. Als sie schließlich neben einem steil aufragenden Berg in eine scharfe Kurve einbogen, bat sie den Ingenieur plötzlich anzuhalten.
    »Was ist denn los?« fragte der Ingenieur und blickte besorgt in den Rückspiegel, doch die Archäologin gab keine Antwort. Für solch einen unsensiblen Menschen hatte sie einfach keine Worte übrig, erst recht nicht in einem Moment, in dem sie zum erstenmal einen Blick auf das Meer werfen konnte, dessen Brandung die flache Spitze des britischen Festlands aushöhlte. Im Hintergrund waren die Umrisse der Orkneyinseln zu sehen, die – wie es sich für ein Traumkönigreich geziemte – nur verschwommen und grau zu erkennen waren. Einer inneren Regung folgend, öffnete sie die Tür des Wagens und kletterte auf die Spitze einer felsigen Erhebung.
    Hier war sie nun, die Grafschaft ihrer Träume, ihr wahres Zuhause. Sie fühlte sich so, wie sich einst Orest gefühlt haben mußte, als er nach seiner heimlichen Rückkehr aus dem Exil zum erstenmal einen Blick auf Argos warf, jenes Land, über das zu herrschen er geboren worden war. Dies war das Meer ihrer Cambridge-Träume, das waren die Inseln, die sie sich schon damals im Geiste ausgemalt hatte, als sie noch auf Long Island in ihrem Heimatstädtchen Setauket auf der Veranda gesessen hatte, ihr wie ein Schatz gehütetes Buch Die Sagen der Männer von Orkney stets aufgeschlagen auf den Knien. Wie der Aufbruch in ein gelobtes Land war es ihr vorgekommen, als sie später den mühsamen Weg der wissenschaftlichen Forschung beschritt, ihre Harfe an den Ufern der Cam ablegte und sich mehr als siebenmal auf den langen Marsch durch sämtliche Buchläden von Saint Andrews begab. Während sie gebannt auf die See hinausblickte, einst ›Walstraße‹ oder ›Weltenschlange‹ genannt, glaubte sie, die blauen Rahsegel der Wikinger von Orkney zu erkennen, und die drachenkopfverzierten Langboote von ›Ragnar dem Faulpelz‹ und ›Erik der Blutaxt‹ schienen auf der großen grauen Meeresstraße dahinzugleiten, um bei Tongue ihre räuberischen Schlachten gegen Bothvar Bjarki oder Arvarodd zu schlagen.
    »An einem klaren Tag«, bemerkte der Vermessungsingenieur hinter ihr, »kann man von hier aus sogar gerade noch die Landzunge Old Man of Hoy sehen. Warum das alle für so interessant halten, liegt allerdings jenseits meines Vorstellungsvermögens.«
    »Ich finde es einfach wunderschön«, hauchte die Archäologin.
    »Ich finde es einfach saukalt. Können wir jetzt endlich weiterfahren?«
    Kurz darauf stiegen beide wieder in den Lieferwagen.
    »Jetzt erzählen Sie mir noch einmal, was Sie eigentlich entdeckt haben«, bat die Archäologin voll Tatendrang.
    »Nun«, antwortete der Ingenieur, wobei er sich zurücklehnte und eine Hand auf das Lenkrad legte, »wir nahmen gerade einige Ablesungen vor, und der Landrover, den ich vorausgeschickt hatte, brach direkt in diesen kleinen Grabhügel ein. Bis zu den Achsen ist er eingesackt, dieses alte Scheißding, und wir mußten ihn mit dem Transit wieder rausziehen. Jedenfalls haben wir es irgendwie geschafft, ihn da rauszukriegen, und als wir kurz darauf in das Loch schauten, das er zurückgelassen hatte, war unter der Erde diese Grabkammer zu erkennen, die überall mit
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