Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wenn Wir Tiere Waeren

Titel: Wenn Wir Tiere Waeren
Autoren: Wilhelm Genazino
Vom Netzwerk:
kaufen und sich zu mir an den Tisch setzen. Mit einer von ihnen würde ich eine Mittagsplauderei anfangen und sie am nächsten Markttag an derselben Stelle wiedersehen. So einfach ist es, eine Frau kennenzulernen, sagte ich zu mir. Die zweite Möglichkeit war: Ins fast leere Schwimmbad fahren (der Sommer war bald zu Ende) und am Beckenrand mit einer gerade ausruhenden Schwimmerin eine Unterhaltung über den kläglichen Sommer anfangen.
    Eine dritte Möglichkeit fiel mir nicht ein. Die zweite mochte ich nicht, also blieb nur die erste. Zwei Tage später, an einem Freitag, ging ich gegen halb eins auf den Wochenmarkt, kaufte drei Reibekuchen und nahm Platz an einem der Holztische. Die Bürofrauen erschienen in großer Zahl, kauften sich ebenfalls Reibekuchen und suchten sich Sitzplätze. Sie redeten über ihre Männer, ihre Kinder, ihren letzten Urlaub, über ihre Computerprogramme und am Schluss über Pullis, Röcke und Hosen, die sie gekauft hatten oder demnächst kaufen würden. Mich beachteten sie nicht. Etwa eine halbe Stunde später erschien die nächste Schicht Bürodamen, sie verhielt sich ähnlich wie die vorige. Die Idee, auf dem Wochenmarkt eine Frau kennenzulernen, war ein Fehlschlag. Diese Frauen hatten Arbeit undeinen Mann und ein Auto und eine Wohnung und alles, was daraus folgte. Aus Ratlosigkeit betrachtete ich ganz junge Frauen, die etwas weiter entfernt saßen und Bier tranken. Sie trugen nur T-Shirts und knappe Hosen, so dass ich ihre Tätowierungen auf ihren Armen, Schultern und Hüften sehen konnte. Die Tätowierungen sahen abscheulich aus, aber mir war klar, dass mein Abscheu altmodisch war. Es beschlich mich ein seit Kindertagen vertrautes Gefühl: dass ich vielleicht aus der Zeit herausgefallen war. Ich versuchte, gegen das Gefühl einzuschreiten, indem ich mich umschaute nach jemand, der (die) mir ähnelte, egal ob Mann oder Frau. Nein, nicht egal. Ich brauchte eine Frau, die als übriggebliebenes Einzelwesen irgendwo herumsaß wie ich und Abstand gewinnen wollte von irgend etwas. Aber die Menschen ringsum waren mit dem genauen Gegenteil beschäftigt: sie wollten den Abstand zwischen sich und der Welt verkleinern, sie wollten sich identifizieren mit allem, was die Zeit und die Mode um sie herum abgelagert hatte. Ein wenig mürrisch trug ich meinen Plastikteller und das Plastikgeschirr zur nächsten Abfalltonne und ging nach Hause.
    Schon im Treppenhaus hörte ich mein Telefon. Einen Auftrag würde ich nicht bekommen, daran glaubte ich immer weniger. Es blieb nur Maria. Sie verriet sich mir schon durch ihr langes Klingeln. Niemand außer ihr hielt es so lange für möglich, dass ich zu Hause war und nur aus Trotz oder Widerwillen den Hörer nicht abnahm – oder erst sehr spät. Noch vor ihrem ersten Wort hörte ich einen weggedrückten Schluchzer.
    Ist was passiert? fragte ich.
    Ja, nein, ja, sagte sie.
    Etwas Schlimmes?
    Ja, nein, ja, nein.
    Was ist? fragte ich.
    Ach, sagte sie.
    Kannst du es nicht sagen? Soll ich raten?
    Wahrscheinlich ist es nicht schlimm, sagte sie, außer für mich; kann ich für eine Viertelstunde zu dir kommen?
    Jetzt gleich?
    Am liebsten, ich habe noch zwanzig Minuten Mittagszeit.
    Dann komm, sagte ich.
    Sie hatte offenbar vollständig vergessen, dass sie mir vor nicht allzu langer Zeit davongelaufen war. Vermutlich saß sie schon auf ihrem Fahrrad. Fünf Minuten später lag sie auf meinem Sofa und kämpfte mit den Tränen.
    Ist jemand gestorben oder was?
    Maria zog ihren Schlüpfer aus, hielt ihn mir vor das Gesicht und sagte: Da, schau rein, mir fallen die Schamhaare aus.
    Was?
    Ich blickte in ihren Slip und sah tatsächlich ein paar frei umherschwirrende Schamhaare.
    Ist das alles?
    Mir reichts, sagte sie.
    Das ist völlig normal, sagte ich, mir fallen auch Schamhaare aus, schon lange.
    Ist das wahr?
    Ja klar.
    Das hast du mir nie gesagt.
    Es ist unwichtig, sagte ich.
    Wachsen die nach? fragte sie.
    Weiß ich nicht, vermutlich, sagte ich; du hast so viele Schamhaare, du kannst ein paar abgeben.
    Sie lachte und schluchzte zugleich. Sie zog ihren Schlüpfer wieder an und legte sich auf die Couch. Ich schob meine Hand unter den Gummizug des Slips und kraulte langsam ihren großen schwarzen Busch. Schon nach zehn Minuten war sie dem Einschlafen nahe. Ich weckte sie.
    Du musst ins Büro, sagte ich.
    Sie stand schnell auf und schlüpfte in ihre Sachen. Sie küsste mich so heftig, dass ich die Dankbarkeit hinter dem Kuss spürte, dann fuhr sie zur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher