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Wenn ich dich gefunden habe

Wenn ich dich gefunden habe

Titel: Wenn ich dich gefunden habe
Autoren: Ciara Geraghty
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noch eines zu sagen: Ich habe endlich gewonnen. Ich höre dich förmlich lachen, Kathleen. Gott, ich habe es geliebt, wie du lachen konntest, und wie du mich zum Lachen gebracht hast. Tja, wie gesagt, ich habe endlich gewonnen. Das Geld ist in der Dose. Es sollte die Bestattungskosten decken, und vielleicht ist danach ja noch so viel übrig, dass du mit den Mädchen verreisen kannst. Nach Italien vielleicht. Weißt du noch, wir wollten immer mal nach Rom, wollten den Papst besuchen und Eis essen bis zum Abwinken. Ach, die Pläne, die wir hatten, Kathleen.
    In tiefer Liebe
    Eugene Flood
    Dara steckte den Brief zurück in den Umschlag und verstaute ihn wieder in der Dose. Der Zeitungsausschnitt war auch da, vergilbt und über die Jahre steif geworden. Hätte man Dara gefragt, sie hätte – bis heute jedenfalls – behauptet, dass sie nie auf der Parade war. Auf dem Foto trug sie einen Anorak, die Kapuze auf dem Kopf wegen der Kälte, und ihre kurzen, mageren Beine steckten in Jeans mit einem Flicken auf dem Knie. An den Flicken erinnerte sie sich: Mickey und Minnie, die sich an den Händen halten. Sie saß auf Mrs. Floods Schultern und hielt sich mit beiden Händen an ihrem Kopf fest, und Mrs. Flood umklammerte mit einer Hand ihr Bein, das so dünn war, dass es ihre Finger ganz umschließen konnten. Ihre andere Hand lag auf Angels Kopf. Die drei blickten lächelnd nach oben, nicht in die Kamera, sondern auf etwas, das sich außerhalb des
Bildausschnitts befand. Und plötzlich fiel Dara wieder ein, was es war: Ein Mann auf Stelzen. Ein Clown mit einem riesigen roten Mund. Dara wusste noch, dass sie damals über seine Größe staunte. Sie hatte noch nie einen so großen Mann gesehen. Später hatte ihr Angel die Sache mit den Stelzen erklärt, die unter der Pluderhose verborgen waren. An all das erinnerte sie sich jetzt.
    Die Bildunterschrift lautete: Glückliche Familien – Kathleen Flood genießt das Leben mit ihren Töchtern Angel und Dara.



75
    Das kleine Haus in der Raheny Road war leer. Dara rief nach ihrer Mutter, während sie im Erdgeschoss eine Runde drehte. Auf dem Küchentisch stand inmitten von Krümeln und schmutzigem Geschirr ein Teller mit einem Stück Schokoladentorte, die Schnittstellen bereits hart und trocken. Mrs. Floods Friseurtasche lag auf einem Stuhl, der Inhalt war zum Teil herausgepurzelt.
    »Mam!«, rief Dara, lauter jetzt. Dann fischte sie ihr Handy aus der Tasche, um einen Blick auf das Display zu werfen. Keine entgangenen Anrufe. Sie wählte erneut Angels Handynummer. Nichts. Sie wählte die Nummer ihrer Mutter. Prompt ertönte draußen im Flur ein Klingeln. Mrs. Floods Handy lag auf dem Fußboden, als wäre es ihr aus der Tasche gefallen. Dara hob es auf. Sechs entgangene Anrufe. Alle von ihr selbst.
    »Mam!«, rief sie und registrierte die Panik in ihrer Stimme. Sie rannte die Treppe hinauf. Die zweite Stufe von oben knarrte, als sie darauf trat.
    Die Schlafzimmertür war nur angelehnt. Dara hörte nichts außer ihren eigenen hektischen Atemzügen.
    Das Schlafzimmer war leer und dunkel, die Vorhänge waren zugezogen, das Bett zerwühlt. Auf dem Boden ein Kleiderhaufen – das Nachthemd und der Morgenmantel ihrer Mutter, dazwischen die Pantoffeln. Im Badezimmer war die Wanne voll. Dara tauchte die Finger ins Wasser. Kalt.
    Angels Zimmertür war geschlossen. Dara zögerte einen Moment, ehe sie sie öffnete. »Angel?«, flüsterte sie mit zitternder Stimme. Doch auch dieses Zimmer war leer. Im ungemachten Bett der Abdruck von Angels Körper.
    Dara setzte sich auf die Bettkante und versuchte, ihre Gedanken zu sammeln. Ihre Mutter war nicht hier. Angel war nicht hier. Sie schienen in großer Eile aufgebrochen zu sein. Es gab nur einen Ort, an dem sie sich befinden konnten.



76
    Im Empfangsbereich des Krankenhauses herrschte dasselbe Gedränge wie in den Geschäften kurz vor Weihnachten. Dara schob sich durch die Menschenmassen zur Anmeldung, drängte sich an den Anfang der Schlange. Die Angestellte dahinter ignorierte sie, wie es Angestellte tun, wenn sich Kunden nicht an die Regeln halten. Dara umklammerte die Kante des Tresens. Sie war mit Angels Auto hergekommen und hatte keinerlei Erinnerungen an die Fahrt. Sie wusste nur, dass sie keine sechs Minuten gebraucht hatte. Sie hatte den Wagen direkt vor dem Eingang abgestellt und sich nicht um den Parkplatzwächter gekümmert, der gebrüllt hatte, sie könne das Auto dort nicht stehen lassen.
    »Das ist die Ladezone«, hatte er gerufen.
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