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Wenn ich dich gefunden habe

Wenn ich dich gefunden habe

Titel: Wenn ich dich gefunden habe
Autoren: Ciara Geraghty
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Körper ausgebreitet, so gründlich wie ein Feuer in einem Wald, in dem es nie regnet.
    Sein kahler Kopf wirkte seltsam verletzlich. Die Haut war ganz weiß dort. Dara streckte den Arm aus und berührte ihn. Legte die Hand auf seinen weißen Schädel. Er war noch warm. Das war es, was sie schließlich zum Weinen brachte. Seine sanfte Wärme. Damit hatte sie nicht gerechnet.



73
    Es gab einiges zu erledigen. Angelegenheiten, mit denen sie beide nicht gerechnet hatten.
    »Er wollte in Irland bestattet werden«, sagte Fidelma zu Stanley. Vielleicht war sie der Ansicht, dass die Organisation einer Beerdigung Männersache war, so wie den Müll rauszubringen, Rasen zu mähen und kaputte Gegenstände zu kleben.
    Er nickte, obwohl er keine Ahnung hatte, wie man eine Leiche überführte oder eine Beerdigung organisierte. Doch da Fidelma es von ihm zu erwarten schien, nickte er.
    Er spürte Daras schmalen, kraftlosen Finger in seiner Hand. Das war etwas, das er tun konnte: ihre Hand halten und sie wissen lassen, dass er da war. Dass er ihr Freund war.
    Dara beugte sich über den Tisch. »Wie war er so?«, fragte sie Fidelma. »Mr. Flood, meine ich.«
    Fidelma lächelte fürsorglich, wie die meisten Menschen, die mit Dara Flood zu tun hatten.
    Dann nahm sie eine Aktenmappe zur Hand und blätterte darin. »Allzu viel kann ich Ihnen leider nicht über ihn sagen. Er war Maurer von Beruf, und privat ein leidenschaftlicher Gärtner. Er hat mir mal erzählt, dass er in seiner Wohnung Bäume gezüchtet hat … Sie wissen schon, diese Miniaturbäume aus Japan.« Wieder sah sie zu Stanley.
    »Bonsaibäumchen«, sagte dieser, und sie nickte.
    »Genau. Er sagte, diese Bäume wären das Einzige, das er in seinem Leben richtig hingekriegt hat.« Sie runzelte die Stirn, als hätte sie etwas gesagt, das sie nicht hätte sagen sollen.
    »Es tut mir leid«, fuhr sie, zu Dara gewandt, fort. »Er war sehr krank, als er zu uns kam. Im Grunde lag er zu diesem Zeitpunkt bereits im Sterben. Und er wusste es. Ehe sie sterben, sind manche Menschen ganz in sich gekehrt. Er wirkte still. Er war ein stiller Mann.« Sie zuckte die Achseln. Es wirkte nicht gleichgültig, sondern eher bedauernd, als hätte sie Dara gern mehr Informationen geliefert.
    »Hatte er mal Besuch, solange er hier war?«, fragte Dara.
    Fidelma zögerte, ehe sie antwortete. »Nein.«
    Dara erhob sich, Stanley ebenfalls.
    »Tja«, sagte Dara und nahm ihren Rucksack. »Danke. Vielen Dank für alles.«
    Fidelma betrachtete sie einen Augenblick, dann stand sie auf, kam hinter dem Tisch hervor und drückte Dara an sich. Stanley ließ Daras Hand los und versuchte, sich unsichtbar zu machen, während sich die beiden Frauen umarmten. Er kam sich vor wie ein Eindringling.
    »Tut mir leid, Schätzchen«, sagte Fidelma mit Tränen in den Augen, als sie sich von Dara löste. »Es tut mir leid, dass Sie nicht rechtzeitig hier waren. Ich kann mir vorstellen, dass Sie gern mit ihm gesprochen hätten, ehe er …«
    »Ich weiß nicht«, sagte Dara. »Ich habe ihn so lange gesucht, aber als ich vorhin durch den Korridor zur Station ging, hatte ich keine Ahnung, was ich zu ihm sagen sollte.«
    »Da wäre Ihnen bestimmt etwas eingefallen.« Fidelma tätschelte ihr den Arm, als würden sie sich seit Jahren kennen. Dann fuhr sie etwas sachlicher fort: »In seinem
Nachttisch befinden sich ein paar persönliche Gegenstände. Könnten Sie die mal durchsehen?«
    »Machen wir«, meldete sich Stanley zu Wort, da Dara nichts sagte. »Und dann füllen wir dieses Formular aus, so gut es geht und bringen es Ihnen zurück.«
    »Gut«, sagte Fidelma. »Gut. Das wäre dann wohl alles.« Sie kehrte hinter den Tisch zurück und setzte sich. Stanley ergriff Daras Hand und führte sie hinaus.
    Mitten auf dem Korridor blieb Dara plötzlich stehen.
    »Stanley, ich … Ich möchte dir nur sagen …«
    »Nein«, unterbrach er sie. »Sag gar nichts.« Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Das klären wir, wenn wir wieder zu Hause sind.« Er dachte weder an Cora noch an Cormac noch an Ian Harte; er dachte auch nicht an Mr. Flood, den sie an ein und demselben Tag gefunden und wieder verloren hatten. Er dachte nur an Dara. An ihr bedächtiges, zurückhaltendes Lächeln. Die Welt war ein seltsamer, trauriger Ort, aber genau hier, in diesem Korridor, in der Trostlosigkeit dieses Hospizes, überkam ihn plötzlich ein Gefühl, das er schon lange nicht mehr verspürt hatte: Hoffnung. Eine Hoffnung, die von Dauer sein
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