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Wenn ich dich gefunden habe

Wenn ich dich gefunden habe

Titel: Wenn ich dich gefunden habe
Autoren: Ciara Geraghty
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spürte, wie ihm der Blick der Frau folgte, während er auf das Gebäude zuging, das schon bessere Tage gesehen hatte. Von Dara keine Spur, dafür auf der Treppe ein Häufchen Zigarettenstummel. Neun Stück. Vielleicht hatte sie in der Eile ihre Plastikdose zu Hause vergessen. Er überflog die
Namen auf den Klingelschildern. Trat einen Schritt zurück und spähte zu der Hausnummer über dem Oberlicht hinauf. 124. Es war das richtige Haus. Die richtige Straße.
    »Kann ich Ihnen irgendwie helfen, mein Lieber?« Stanley fuhr herum. Die Frau stand am Fuße der Treppe und musterte ihn, als wäre er der Verdächtige bei einer polizeilichen Gegenüberstellung.
    »Ich suche einen Mr. Flo… Ich meine, einen Gene Waters. Soweit ich weiß, wohnt er hier.« Stanley deutete auf das Haus.
    »Hier wohnen viele Leute.«
    »Eigentlich suche ich gar nicht ihn sondern seine Tochter Dara. Es wäre möglich, dass sie hier war. Vor mir.«
    »Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?« Die Frau kam langsam auf ihn zu.
    »Ich bin ihr … ein guter Bekannter von ihr.« Stanley wich zurück, als die Frau an der Treppe angelangt war. Sie roch nach Bratfett und Haarspray, keine besonders angenehme Kombination.
    »Sind Sie ihr Freund?« Die Frau musterte ihn mit entschlossener, geduldiger Miene. Zweifellos würde sie sich nicht mit einem »Das geht Sie nichts an« abwimmeln lassen.
    »Nein«, sagte Stanley. »Nicht so richtig.«
    Darauf begann die Frau sogleich mit dem Kopf zu nicken, so heftig, dass die Lockenwickler in ihren Haaren bedenklich wackelten. »Verstehe«, sagte sie, was Stanley eigenartig fand, weil er es selbst nicht ganz verstand. Trotzdem schien sein Status als wie auch immer gearteter Freund von Dara die Frau zu beruhigen. Stanley ergriff die Gelegenheit beim Schopf. »Also, wohnt Mr. Waters denn nun hier?«
    »Mein lieber Schieber, ist der Kerl heute gefragt. Erst bekommt er monatelang keinen Besuch, und dann rennen sie ihm plötzlich alle die Bude ein. Tja, wo es ein Testament gibt, da gibt es auch Verwandtschaft, wie?«
    »Ein Testament?«
    »Kleiner Scherz.« Die Frau grinste und enthüllte dabei ihre langen, gelblichen Schneidezähne. An der oberen Reihe haftete leuchtend roter Lippenstift. »Er ist in einem Hospiz. St. Jude’s. Ich habe Ihre Dara vor zwei Minuten in ein Taxi gesetzt, das sie hinbringt. Ich wusste gleich, wen ich vor mir habe. Sie sieht genauso aus wie er. Besser gesagt, wie er früher aussah.«
    Stanley hastete los.
    »Wo wollen Sie denn hin?«
    »Zum Hospiz«, rief er, ohne stehenzubleiben.
    »Wollen Sie nicht wissen, wo es ist?«, rief ihm die Frau nach.
    »Ich nehme ein Taxi, danke!«, rief Stanley und rannte auf die Straße, um das erstbeste Taxi anzuhalten, das vorbeikam.



70
    Die Taxifahrt zum Hospiz dauerte nicht allzu lange. Im Nachhinein konnte sich Dara kaum daran erinnern. Es kam ihr so vor, als befände sie sich schon sehr, sehr lange auf der Reise.
    Das Hospiz war ein robuster roter Backsteinbau, neben dem ein riesiges Kreuz emporragte, das das lange, niedere Gebäude klein aussehen ließ. An dem Kreuz hing eine von blauen Flecken übersäte, blutüberströmte Jesusstatue, das Haupt gebeugt unter der Last der Dornenkrone. Davor kniete eine Statue der Heiligen Maria, die das Gesicht in den Händen barg und vor einem Gott, den sie – zumindest an diesem Tag – grausam und gleichgültig gefunden haben musste, den Verlust ihres einzigen Sohnes beweinte.
    »Alles okay, Herzchen?« Dara riss sich vom Anblick des Kreuzes los. Der Taxifahrer betrachtete sie mit einer Mischung aus Mitleid und Besorgnis. Er wusste, was in diesem Gebäude vor sich ging.
    »Tut mir leid, ich …« Dara griff nach ihrer Tasche. »Was schulde ich Ihnen?«
    »Na ja, laut Taxameter zehn Pfund und fünfundsiebzig Pence, aber weil Sie es sind, runde ich ab auf einen Zehner, okay?« Er blickte sie durch seine riesige Bifokalbrille mit gütigen Augen an. Dara reichte ihm lächelnd das Geld.
    »Danke«, sagte sie und stieg aus.
    »Passen Sie auf sich auf, Schätzchen, ja?« Es klang wie
ein Auftrag, sodass Dara unwillkürlich nickte und es ihm versprach. Dann betrat sie das Hospiz.
    »Ich suche Mr. Floo… äh, ich meine Gene Waters«, sagte sie zu der jungen Frau am Empfang.
    »Er liegt auf der St. Killian’s Station«, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen. Ohne zu zögern, ohne erst in einem Computer oder in einem Buch nachzusehen. So überzeugt, als bestünde nicht der geringste Zweifel.
    Sie schenkte Dara
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