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0680 - Der verratene Traum

0680 - Der verratene Traum

Titel: 0680 - Der verratene Traum
Autoren: Claudia Kern
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Gegenwart
    Mit einem dumpfen Knall explodierte die Blendgranate. Ein Licht, das heller als die Sonne war, riss die Kellerräume aus ihrem Halb dunkel und ließ die geschockten Menschen wie bleiche Geister erscheinen. Sie rissen die Hände vor die Augen, um sich zu schützen, aber es war bereits zu spät. Wie eine schwarze Wolke drängten die Angreifer die Treppe herunter, während die geblendeten Menschen mit tränenden Augen nach ihren Waffen suchten.
    Die ersten Schüsse fielen. Getroffene schrien.
    Nicole hob vorsichtig den Kopf. Sie hatte die Granate rechtzeitig gesehen und die Hände vor ihre Augen gepresst. Trotzdem tanzten jetzt schwarze Flecken in ihrem Gesichtsfeld. Neben ihr krümmte sich Thomas Watling auf dem Boden. Seine Augen waren zusammengekniffen, seine Hände in Panik zu Fäusten geballt.
    Einige der leprakranken Verteidiger zogen sich in den Nebenraum zurück und feuerten halb blind in Richtung der Treppe, die nach oben führte. Nicole beobachtete schwarz gekleidete Menschen, die geschickt aus der Zielrichtung sprangen und in einstudiert wirkenden Manövern die Verteidiger unter Beschuss nahmen.
    Sie sehen aus wie Beduinen, dachte Nicole, als sie die ebenfalls schwarzen Tücher bemerkte, die von den Männern gleichermaßen als Gesichtsschutz und Turban getragen wurden.
    Im gleichen Moment sprang der alte blinde Mann, der Nicole und Watling gefangen genommen hatte, aus seiner Deckung vor und warf sich auf einen der Angreifer. Bevor er ihn jedoch berühren konnte, riss ihn ein Schuss zu Boden. Nicole konnte sehen, dass er tot war.
    Sie griff nach dem Dhyarra-Kristall und stutzte.
    Die Tasche war leer.
    Hektisch, aber zugleich bemüht, den Kämpfenden nicht aufzufallen, ließ Nicole ihren Blick durch den Kellerraum gleiten. Sie vermutete, dass ihr der Kristall aus der Tasche gerutscht war, als sie sich vor der Blendgranate zur Seite geworfen hatte. In diesem Fall musste er sich in unmittelbarer Nähe befinden.
    Der Kellerboden war von Schutt und Geröll bedeckt. Die Explosion hatte Putzstücke und kleinere Steine gelöst, die zusätzlich Staub aufwirbelten. Nicole spürte, wie die Staubpartikel und die Pulverdampfschwaden aus den Gewehren sie zum Husten reizten. Sie unterdrückte den Reiz mühsam. Die Aufmerksamkeit der Angreifer konzentrierte sich völlig auf den Nebenraum, und Nicole wollte den dunklen, vermummten Gestalten keinen Grund geben, das zu ändern.
    Im gleichen Moment sah sie den blauen Kristall im Mündungsfeuer eines Gewehrschusses blitzen.
    Er lag nur wenige Meter entfernt.
    Nicole sah, dass der Kampf in seine Schlussphase zu gehen schien. Einer der Vermummten lag schwer verletzt auf dem Boden. Sieben weitere hatten sich hinter dem Tisch und einigem Geröll verschanzt und feuerten in den kleinen Raum. Nur wenige Schüsse drangen zurück. Den Leprakranken ging anscheinend die Munition aus.
    Langsam kroch die Dämonenjägerin auf den Kristall zu und streckte die Hand danach aus. Nur noch Zentimeter trennten ihre Fingerspitzen von der magischen Waffe.
    »Nein!«, rief Watling plötzlich.
    Nicole fuhr erschrocken herum.
    Und starrte in die Mündung eines Gewehrs.
    ***
    Australien 1794
    Wantapari lehnte sich atemlos gegen den kühlen Felsen der Höhle. Die anderen Stammesmitglieder der Eora sahen ihn erwartungsvoll an. Eine der Frauen reichte ihm einen Schlauch mit Wasser, aus dem der Jäger gierig trank. Dann ließ er sich auf den Fußballen nieder. Seine Augen suchten Gulajahli, den Schamanen des Stammes.
    »Der weiße Mann Zamorra«, sagte er leise, »ist tot.«
    Wantapari sah keine Überraschung im Gesicht des Schamanen. Hatten die Bilder der Traumzeit ihm das etwa auch verraten?
    Um ihn herum raunten die Stammesmitglieder untereinander.
    »Was ist passiert?«, wollte einer der Männer wissen.
    Wantapari zögerte. Er war kein Geschichtenerzähler, der aus Worten eine Landschaft formen konnte, die vor den Zuhörern zum Leben erwachte. Aber außer ihm war niemand dabei gewesen. Also begann er.
    »Wir hörten das Heulen des bösen Geistes, den Zamorra Werwolf nannte, und folgten den Lauten in den Busch. Auf der Lichtung des schwarzen Kängurus sahen wir den weißen Mann Thomas. Der böse Geist, größer als ein Mensch und mit Klauen und Zähnen, die im Mondlicht leuchteten, griff ihn an.«
    Ein kleines Kind begann am Rand der Höhle verängstigt zu weinen. Die Mutter nahm es in den Arm.
    »Zamorra und ich liefen auf den Geist zu. Ich spürte große Furcht, aber dann sah ich, wie rote
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