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Wenn Frauen zu sehr lieben

Wenn Frauen zu sehr lieben

Titel: Wenn Frauen zu sehr lieben
Autoren: Robin Norwood
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deshalb angefangen, Jura zu studieren. Hart um eine Sache kämpfen und gewinnen – diese Vorstellung ist schon faszinierend.» Der Gedanke brachte sie zum Lächeln, aber sehr schnell wurde sie wieder ernst.
    «Wissen Sie, was ich einmal gemacht habe? Ich habe ihn dazu gebracht, mir zu sagen, dass er mich liebt, und mich zu umarmen.» Jill versuchte, dies wie eine lustige Anekdote aus der Jugendzeit zu erzählen, aber es gelang ihr nicht. Die Stimme des verletzten jungen Mädchens war deutlich herauszuhören.
    «Nie wäre es dazu gekommen, wenn ich ihn nicht gezwungen hätte. Aber er hat mich wirklich geliebt. Das konnte er bloß nicht zeigen. So, wie er es sonst auch nicht sagen konnte. Ich bin sehr froh, dass ich ihn wenigstens einmal dazu gebracht habe. Sonst hätte ich nie aus seinem Mund gehört, dass er mich liebt. Und darauf hatte ich jahrelang gewartet. Mit achtzehn erklärte ich ihm: ‹Du wirst mir jetzt sagen, dass du mich liebst›, und ich rührte mich so lange nicht von der Stelle, bis er diese Worte aussprach. Dann bat ich ihn, mich zu umarmen, aber auch damit musste ich anfangen. Er hat mich nur irgendwie gedrückt und meine Schulter ein bisschen getätschelt, aber das war für ihn schon eine ganze Menge. So etwas hatte ich wirklich gebraucht.» Ihr strömten Tränen übers Gesicht.
    «Warum ist es ihm bloß so schwergefallen? Der eigenen Tochter sagen können, dass man sie liebt – das wäre doch eigentlich etwas ganz Natürliches.»
    Wieder blickte sie auf ihre gefalteten Hände hinunter.
    «Ich habe mir so viel Mühe gegeben. Und nur aus diesem Grund wollte ich mich mit ihm auch dauernd auseinandersetzen. Ich dachte, wenn ich in einem solchen Streit einmal die Stärkere wäre, dann müsste er stolz auf mich sein. Dann würde er zugeben müssen, dass ich auch etwas konnte. Was ich am allermeisten wollte, war seine Anerkennung, aber das ist wohl nur ein anderes Wort für Liebe …»
    Im weiteren Verlauf des Gesprächs wurde deutlich, dass Jills Familie für die Ablehnung, die ihr Vater ihr entgegenbrachte, die Tatsache verantwortlich machte, dass er einen Sohn gewollt und eine Tochter bekommen hatte. Diese oberflächliche Erklärung für seine Kälte dem eigenen Kind gegenüber war für alle Beteiligten – einschließlich Jill – viel leichter zu akzeptieren als alles, was der Wahrheit über ihn näher gekommen wäre. Aber nach einer Reihe von Therapiestunden erkannte Jill, dass ihr Vater keinerlei enge persönliche Bindungen gehabt hatte, dass er im Grunde unfähig gewesen war, auch nur einem Menschen in seiner näheren Umgebung gegenüber Zärtlichkeit, Liebe oder Anerkennung auszudrücken. Immer hatte es für seine emotionale Unzulänglichkeit «Gründe» gegeben, beispielsweise Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten oder eben unabänderliche Tatsachen wie die, dass Jill ein Mädchen war. Jedes einzelne Familienmitglied entschloss sich dazu, diese Gründe als berechtigt zu akzeptieren, statt sich weitere Gedanken darüber zu machen, warum ihre Beziehungen zu ihm immer distanziert bleiben mussten.
    Jill fiel es tatsächlich schwerer zu akzeptieren, dass ihr Vater liebesunfähig war, als sich weiterhin Selbstvorwürfe zu machen. Solange sie an allem schuld war, gab es ja noch Hoffnung – die Hoffnung, sich selbst ausreichend verändern zu können, um beim anderen Veränderungen hervorzurufen.
    Wenn sich etwas ereignet, das uns emotional verletzt, und wir uns sagen, es sei unser Fehler gewesen, dann behaupten wir damit in Wirklichkeit: Wir haben die Kontrolle über das Ereignis und können derartige Verletzungen in Zukunft verhindern, wenn wir uns ändern. Diese Dynamik steckt hinter vielen Selbstvorwürfen von Frauen, die zu sehr lieben. Indem wir uns selbst die Schuld geben, halten wir gleichzeitig an der Hoffnung fest, herausfinden zu können, was wir falsch machen, um es zu korrigieren, dadurch die Situation unter Kontrolle zu bringen und weiteren Schmerz zu verhindern.
    Auch Jill hatte dieses Muster entwickelt, wie in einer der folgenden Sitzungen besonders deutlich wurde – als sie nämlich auf ihre Ehe zu sprechen kam. So wie sie sich unausweichlich zu jemandem hingezogen fühlte, mit dem sie das emotional unterkühlte Klima, in dem sie großgeworden war, wiedererschaffen konnte, bot ihr die Ehe gleichzeitig die Möglichkeit, noch einmal zu versuchen, die Liebe zu gewinnen, die ihr versagt worden war.
    Als Jill berichtete, wie sie ihren Ehemann kennengelernt hatte, fielen mir
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