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Wenn du mich brauchst

Wenn du mich brauchst

Titel: Wenn du mich brauchst
Autoren: Jana Frey
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meiner Mutter. Dort lag auch Godot und schlief. Wenn Rosie derartig tief und konsequent ihr Atmen-ist-Lebenskraft-Programm durchzog und dabei wie erstarrt im Sukhasana-Sitz verharrte, telefonierte sie gewöhnlich mit Deutschland.
    Und ich hatte mich nicht geirrt.
    »Ich will mich nicht mit dir streiten, Mama«, sagte sie auf Deutsch. »Aber es ist wirklich wichtig.«
    Ihr Blick streifte meinen. »Alles okay, Baby«, flüsterte sie beruhigend auf Englisch und atmete weiter tief ein und aus.
    »Nein, ich bin nicht außer Atem, Mutter«, fauchte sie einen Augenblick später auf Deutsch. »Ich bin in Not, wenn du es genau wissen willst. Nein, den Kindern fehlt nichts, jedenfalls nichts Lebenswichtiges …«
    »Mein Abschlussballkleid«, flüsterte ich auf Deutsch, aber Rosie schüttelte unwillig den Kopf.
    »Es geht um mich, Mutter«, fuhr sie gereizt fort. »Genauer genommen geht es um meine Therapiestunden. Sie sind aufgebraucht. Ich habe kein Geld für weitere Sitzungen und dabei bin ich kurz davor durchzudrehen …«
    Ich hörte, wie meine deutsche Großmutter meiner Mutter ins Wort fiel.
    »Aber das ist ja genau der Punkt!«, rief meine Mutter im nächsten Moment heftig und versehentlich in der falschen Sprache.
    »Deutsch«, flüsterte ich ihr zu.
    Rosie atmete noch tiefer ein und aus und wiederholte den Satz in ihrer Muttersprache. Er klang fast ebenso holperig wie ihr Amerikanisch. Arme Mom, manchmal beschlich mich das ungute Gefühl, sie verlernte mit der Zeit beide Sprachen. Ihr Englisch wurde nicht besser, dafür verlor sie ihre deutsche Sprache immer mehr.
    »Was heißt das, du hast ja immer gewusst, dass Leek nicht der Richtige …?«
    Ich stand auf und ging in die Küche, um einen Blick in den Kühlschrank zu werfen. Godot folgte mir winselnd. Was ich in unserem Kühlschrank sah, bestätigte meine schlimmsten Befürchtungen. Eine schimmelige, runzelige Tomate, ein bisschen vertrockneter Parmesan am Stück, eine halb leere Tube Ketchup. Und ein Glas mit beschlagener Scheibe, in dem etwas Undefinierbares lag. Grün, welk und mit borstigen, dicken Stängeln.
    »Leek ist wunderbar, er ist mein Leben, verdammt noch mal!«, schrie meine Mutter im Wohnzimmer. Danach wurde es still. Entweder meine Mutter oder meine deutsche Großmutter in Hamburg hatten die Leitung unterbrochen.
    »Ich hasse diese Frau«, sagte Rosie düster und begab sich in die Sarvangasana, die sogenannte Schrägstellung. Ich hatte auf dem Bord über dem Küchentisch einen einigermaßen erhaltenen Apfel entdeckt und kam mit ihm zurück ins Wohnzimmer. Godot ging in den Garten und legte sich unter den Olivenbaum.
    »Die Sarvangasana stellt Freude und Harmonie im menschlichen Organismus her«, erklärte Rosie mir schwer atmend. »Zumindest bei allen anderen Yogis dieser Welt. Keine Ahnung, warum bei mir das Positive nie wirkt.«
    »Warum fragst du mich nicht, ob ich schon einen Abschlussballpartner habe?«, fragte ich auf Deutsch und legte den Apfel zur Seite. Er schmeckte scheußlich.
    »Und? Hast du einen?«, erkundigte sich meine Mutter seufzend.
    »Ja.«
    »Prima, Sky. Das freut mich für dich. Sehr sogar.« Ohne ihre Schräglage aufzugeben, angelte sie wieder nach dem schnurlosen Telefon und wählte die unter der Nummer eins gespeicherte Kurzwahl an. Nummer eins war ihr Therapeut in Downtown. Leek in Venice war Nummer zwei. Moons Handy war die Drei und meins schließlich die Vier. Die Fünf war ihre Freundin Jilliam und die Sechs Old Niall in Belfast, der verrückte alte Großvater meines Vaters, den ich schon über drei Jahre nicht gesehen hatte. Er war fast hundert und zäh wie Moons Olivenbaum im Garten.
    »McDonald’s?«, rief Moon aus seinem Zimmer. »Oder Pizza Hut? Oder Subway?«
    »Sag, er soll Indisch bestellen«, murmelte meine Mutter, die in den Hörer lauschte und wartete, dass die Frau aus dem Vorzimmer von Bob Bellamy, ihrem Psychoguru, sich erweichen ließ und ebenfalls den Hörer abnahm. Seitdem die Telefongesellschaft unsere Nummer freigegeben hatte und die Angerufenen nun sahen, wer da auf sie in der Leitung wartete, hatte Rosie oft Mühe, Doc Bellamy außerhalb seiner regulären Sprechzeiten zu erreichen. Wie so viele andere fand er die komplizierte Gefühlswelt meiner Mutter in der Zwischenzeit anscheinend ziemlich anstrengend.
    »Geh ran, du dickes, dämliches borniertes Walross«, murmelte meine Mutter wütend und begann wieder, tief ein- und auszuatmen.
    »Indisch, Moon!«, rief ich in die Richtung von Moons
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