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Wenn du mich brauchst

Wenn du mich brauchst

Titel: Wenn du mich brauchst
Autoren: Jana Frey
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unterwegs waren – Garten Eden – einem Laden in unserem Viertel, in dem die besten koscheren Lebensmittel verkauft wurden. Alle Produkte waren von der Union Orthodoxer Juden genehmigt.
    Shar und ich wollten als Geburtstagsüberraschung für David sein Lieblingsessen kochen, Brathuhn mit Matzenfüllung.
    »Feiert David eigentlich richtig groß?«, wollte Shar wissen.
    Ich zuckte mit den Schultern. »Nicht wirklich. Er bringt seine beiden besten Freunde mit«, erzählte ich, während wir Brathühnchen, Matzen, Stangensellerie, Zwiebeln und Eier in unseren Einkaufswagen luden. »Erinnerst du dich an Gabriel?«
    Sharoni nickte. »Das ist der, mit dem er zusammen die Thora studiert, oder?«
    »Ja. Der andere ist Ezra. Er hat früher nebenan gewohnt. Vor zwei Jahren ist die Familie nach Anaheim umgezogen. Er kann praktisch zu Fuß ins Disneyland gehen.«
    Sharoni lachte und wir stellten uns an der Kasse an.
    »Ezra ist überhaupt nicht gläubig, aber er ist eben schon so lange Daves bester Freund, dass sie trotzdem gut klarkommen. Ich mag ihn sehr gern.«
    »Und was macht ihr morgen an Jonis Geburtstag?«, erkundigte sich Shar. »Sollen wir nicht auch gleich für ihn etwas einkaufen?« Sie schob sich ein paar bunt gefärbte Haarsträhnen aus der Stirn und lächelte dabei dem jungen Mann an der Kasse zu, dessen Wangen sich sofort rosa färbten.
    Shar hat eine unglaubliche Wirkung auf Männer. Ihre Haarglöckchen klingelten weiter leise vor sich hin und augenscheinlich sehr verführerisch, denn das Rosa auf den Wangen des Kassierers vertiefte sich und griff auf seine leicht abstehenden Ohren über.
    »Meine Mutter hat Joni versprochen, dass wir morgen zusammen mit seinem Freund Arik ins Disneyland fahren.« Es war Jonathans größter Wunsch gewesen und meine Mutter konnte ihrem Jüngsten nie etwas abschlagen, vielleicht weil er so ein schwerkrankes Baby gewesen war. Er hatte eine angeborene, sehr seltene Blutkrankheit und musste morgens bis zu zwölf Pillen nehmen.
    Als wir nach Hause kamen, saß nur Esther im Wohnzimmer. Meine Mutter war noch in der Stadt unterwegs – mein großer Bruder würde von meinen Eltern einen ziemlich kostspieligen Hyundai Santa Fe bekommen. Und mein Vater arbeitete noch.
    Wir beeilten uns mit dem Kochen. Als das Hähnchen im Ofen war, schaute ich nach meiner Urgroßmutter, die mit düsterer Miene vor dem großen eingeschalteten Fernseher saß. Neben ihr auf dem Couchtisch lag ein geöffnetes Amazon-Päckchen, daneben ein kleiner Stapel DVDs. »Alles in Ordnung, Esther?«, fragte ich und stellte vorsorglich eine Flasche Multivitaminsaft neben ihre angebrochene Sherryflasche.
    »Yep«, murmelte meine Urgroßmutter knapp und ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden.
    Ich warf einen prüfenden Blick auf die neuen Filme. Esther bestellte seit einer Weile Holocaustfilme in rauen Mengen. Dokumentationen, Reportagen, Spielfilme. Ihre Sammlung war riesig und wurde immer noch größer.
    Heute waren Der letzte Zug , Der Junge im gestreiften Pyjama und Der Holocaust – Dachau und Sachsenhausen dazugekommen.
    »Ach, Esther«, sagte ich, mehr fiel mir nicht ein.
    Nach der Befreiung von Ausschwitz war meine Urgroßmutter eine lange Zeit mit ihrem neugeborenen Baby ziellos von Stadt zu Stadt gezogen. Sie lebten eine Weile in Lübeck, dann in Hannover, in Köln, in Mainz. Sie meldete sich beim Vermisstensuchdienst des Roten Kreuzes und wartete darauf, irgendjemanden ihrer Familie wiederzufinden. Nicht Jakob, da machte sie sich keine Illusionen. Aber was war mit den Tanten? Oder mit den drei Brüdern ihrer Mutter? Und mit Jakobs großer Familie? Seinen Brüdern? Seinen Schwestern?
    Es meldete sich niemand. Es war keiner übrig geblieben.
    Irgendwann fand Esther sich ab und beschloss, Deutschland für immer zu verlassen. Zusammen mit ihrer kleinen Tochter schiffte sie sich nach Amerika ein.
    »Ich erinnere mich noch, Mutter sang Tag und Nacht Lieder für mich, weil ich so schwer seekrank wurde«, hat mir meine Großmutter in Israel einmal erzählt. »Und ich ließ während der gesamten Überfahrt ihre Hand nicht los. Wie erstarrt klammerte ich mich an sie.«
    Meine Großmutter lächelte. Sie sprach wie immer hebräisch mit mir. »Als wir in Amerika ankamen, hatte ich mich daran gewöhnt. Und ich wollte nie mehr damit aufhören. Ich schlief noch über zwei Jahre auf diese Weise ein. Und morgens schob ich als Erstes meine Hand wieder zurück in ihre. Meine Ima war eine wunderbare Mutter, Hannah. Die beste, die
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