Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn du mich brauchst

Wenn du mich brauchst

Titel: Wenn du mich brauchst
Autoren: Jana Frey
Vom Netzwerk:
in diesem verlassenen Haus im Wald, das Jakob eines Tages per Zufall entdeckt hatte. Sie, Jakob und Mendel und sonst keiner, denn es war sonst kaum mehr jemand übrig.
»Warum hat sie ihn nicht wenigstens mitgenommen?«, flüsterte Esther eines Nachts, als Mendel wieder fieberte und sich erbrach und im Schaf wimmerte. »Er ist nichts als eine Last.«
Ein paar Tage später fragte Mendel, der erst acht Jahre alt war: »Esther? Was ist eine Last? Ist das was Schlimmes?«
Esther schluckte und drückte ihn schweigend an sich.
»Bin ich eine Last, Esther?«
»Nein, das bist du nicht!«
»Bestimmt nicht?«
»Bestimmt nicht!«
»Bleibt ihr immer bei mir, du und Jakob?«
»Ja, das tun wir!«
»Versprochen?«
»Versprochen!«
Der Dachboden wurde ein Zuhause. Sie lachten, sie spielten, sie aßen, wenig, aber sie aßen, sie erzählten Geschichten und spielten Theater. Abends während der Dämmerung machte Jakob für Mendel Schattenspiele an der unverputzten, schmutzigen Wand. Er und Esther sangen Lieder für ihn, wenn er krank war, zuerst bekannte Lieder, später selbst erdachte, die von Freiheit und Glück und Unendlichkeit handelten.
Nachts, wenn Mendel endlich schlief, liebten sie sich.
»Eines Tages werden wir ein Kind haben. Viele Kinder«, sagte Jakob zu Esther und dann vertraute er ihr seine Liebe an, die schon so lange währte.
Aus dem Wald brachte er ein verletztes Vogelkind mit, das sie fütterten und um das sie zitterten und das sie tatsächlich durchbrachten. Mendel brachte ihm zuletzt das Fliegen bei. Jakob hatte versprochen, das winzige, runzelige Vogelbaby sei eine Nachtigall, aber dann wurde es nur eine braune Amsel, aber das war nicht schlimm. Mendel liebte den Vogel innig.
Eines Tages war Esther schwanger und sie lachte und weinte gleichzeitig und schmiegte sich an Jakobs warme, feste Brust.
Und eines Tages konnte sie das Baby zum ersten Mal fühlen.
»Wie ein Schmetterling in meinem Bauch«, sagte sie leise und ehrfürchtig und zuerst durfte Jakob seine Hand auf ihren Bauch legen. Und dann Mendel.

Und dann kamen die Nazis. Von einer Sekunde zur nächsten. Einfach so. Draußen schien die Sonne. Vögel zwitscherten. Freundliche Schatten tanzten über den entdeckten Dachboden, der nie wieder Zuflucht sein würde.
»Jakob!«, schrie Esther.
»Esther!«, schrie Mendel.
Die Soldaten traten Jakob wortlos zu Boden.
»Nein!«, schrie Esther und hielt Mendel, der sich wehrte und wie am Spieß schrie, die Augen zu.
Einer der Soldaten, die alle schrecklich jung waren, öffnete seine Hose und pinkelte Jakob ins Gesicht.
»Drecksjude. Judenpack. He, du Hure, ist dieser kleine Krüppel euer Balg?«
Die Soldaten musterten Mendel angewidert. Und belustigt. Und grausam.
Und dann töteten sie ihn. Einfach so. Mit ihren Gewehren. Und ihren Fäusten. Und ihren Tritten.
Es ging so schnell. So wahnsinnig schnell. Wie konnte es sein, dass Mendel so schnell und so still starb?
Blass und mit geschlossenen Augen lag er nur Sekunden später zu ihren Füßen auf dem Boden, Erschrecken in seinem schmalen, gezeichneten Kindergesicht und aus seiner kleinen Nase kam ein dünnes Rinnsal helles Blut.
Esther hörte jemanden schreien, schreien, schreien, aber sie hatte keine Ahnung, aus wessen Kehle diese wilden Schreie kamen, und dann verschwand mit einem Mal alles Licht der Welt und es wurde ihr tödlich schwarz vor Augen. Und begleitet von einem wilden Brausen in ihren Ohren schwebte sie still und leise davon.
Als sie wieder zu sich kam, gefühlte tausend Jahre später, war sie unterwegs. Unterwegs zum Sterben, das wusste sie von dem Augenblick an, als sie die Augen öffnete. Und in diesem Moment beschloss sie, nicht mehr zu weinen. Es lohnte sich nicht. Es rettete einen nicht. Es machte alles nur schlimmer. Es machte einen angreifbar und lieferte einen aus.
Leise legte sie eine Hand auf ihren Bauch und betete für ihr ungeborenes Kind. Um sie herum drängten sich Menschen und Menschen und Menschen, gepresst an Menschen und Menschen und Menschen. In Esthers Bauch rührte sich kein Schmetterling auf dieser Reise. Vielleicht war er schon fortgeflogen. Wer wusste das?

5. SKY
    Rosie saß schon wieder im Sukhasana, als Moon und ich aus der Schule nach Hause kamen. Sie hatte den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter und atmete mit finsterer Miene tief ein und aus.
    »Atmen ist Lebenskraft«, sagte Moon sarkastisch und durchquerte den Raum so schnell wie möglich.
    Ich setzte mich auf die sonnengelbe Yogamatte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher