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Wenn du mich brauchst

Wenn du mich brauchst

Titel: Wenn du mich brauchst
Autoren: Jana Frey
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außer sich, dass du nun im Grunde gar nicht wirklich jüdisch seist …«
    Chajm tippte sich an die Stirn. »Du kennst sie ja, Blondie. Religiös bis in die Knochen. Idiotisch durch und durch. Du hättest mal sehen sollen, wie sie abging, als ich sagte, dass ich das Militär verweigern würde.«
    Ich schwieg. Das wackelige Gefühl in meinen Beinen war verschwunden, doch nun spürte ich einen Kloß im Hals.
    »Aber Jochanan regte sich vor allem über deine deutschen Wurzeln auf. Alles Deutsche ist für ihn wie ein rotes Tuch, aber das weißt du ja selbst, oder? Er würde vermutlich eher draufgehen, als in eine deutsche Bockwurst zu beißen, selbst wenn er kurz vor dem Hungertod stünde.«
    Am liebsten hätte ich das alles nicht gehört. Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten. Ich mochte Hadassa und Jochanan. Und Hadassas Mann. Und Jochanans Frau. Und alle ihre Kinder. Eins davon war mein schwuler Cousin Alon.
    Wie sollte das bloß weitergehen?
    »Mann, fühle ich mich zerschlagen«, stöhnte Chajm und fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Als ich in Los Angeles gelandet bin, konnte ich zuerst gar nicht glauben, dass ich es wirklich geschafft hatte.«
    Er schüttelte den Kopf. »Tel Aviv. Jaffa. London. New York. Montana. – Los Angeles«, zählte er an den Fingern ab und zog sich anschließend mit einem Ruck seinen Pulli über den Kopf.
    »Du solltest jetzt wirklich schlafen«, sagte ich leise und stand zögernd auf.
    Chajm nickte und erhob sich ebenfalls. Zuerst schüttelte er sich nur seine Turnschuhe von den Füßen, aber dann legte er plötzlich unvermittelt seine Hände um mein Gesicht und küsste mich. Seine warmen Lippen lagen fest auf meinen und es fühlte sich wunderschön an.
    »Jüdisch oder nicht, deutsch oder nicht, Cousine oder nicht«, sagte er hinterher leise. »Mir ist das alles völlig egal, Hannah. Für mich bist du einfach eine der besten Erfindungen auf diesem verrückten Planeten. Und du kannst gar nicht ermessen, wie glücklich ich bin, dass du die bist, die du bist.«

35. SKY
    Gershon spielte auf Leeks alter Gitarre alte Tracy-Chapman-Songs. Leek war vor ein paar Tagen zusammen mit seinem Vater nach Irland geflogen, um sich um Old Nialls sterbliche Überreste und seinen zurückgeblieben Hausstand zu kümmern. In der winzigen Küche meines Urgroßvaters war eine letzte Verfügung bezüglich seiner weltlichen Besitztümer gefunden worden. Er hatte sie offenbar unmittelbar vor seinem Tod aufgesetzt.
    Für Nat meine Bücher und Tagebücher und allen anderen privaten Plunder. Nicht einfach wegwerfen, mein lieber, eiliger Sohn. Es könnten hier und da ein paar Geldscheine zwischen den Seiten stecken. Vor ein paar Jahren habe ich mal der neuen Bankangestellten meiner Bankfiliale misstraut: Das Weibsstück hatte so gierige Augen.
    Für Leek mein altes Schachspiel, meine Schallplattensammlung und meine verbliebenen Biervorräte. Hab Spaß mit dem Krempel, mein Lieber. Und sei gut zu Rosie. Sie braucht dich.
    Für Rosie mein restliches Haus. Achtung: Das Dach ist an manchen Stellen undicht. Ich helfe mir immer mit fünf Eimern, wenn es regnet. Und es regnet oft! Niste dich nur häuslich ein und lass das Leben krachen. Du hast es verdient, mein Mädchen.
    Für Moon meinen alten Ford Mustang. Fahr vorsichtig, mein lieber Junge – und trinke nie, wenn du vorhast, dich ans Steuer zu setzen! Zum Starten dreimal mit dem Hammer (liegt unter dem Sitz) gegen den Anlasser schlagen – dann schnurrt er wie ein Kätzchen!
    Für Sky, weil sonst nichts bleibt, meinen Baum im irischen Baumpark von Ardnagashel in West Cork. Ich bin sein höchstpersönlicher Baumpate und er ist ein sehr imposanter, beeindruckender alter Kerl, du wirst schon sehen! Sein Wurzelgeflecht ist fast komplett mit einem Felsen verwachsen. Er hat es gerne, wenn man ihn besucht und ihm so dies und das erzählt. – Danke noch mal, dass du mir zugehört hast, als es nötig war, Skymädchen.
    Außerdem schrieb Old Niall, er verbitte sich in seinem Namen eine Trauerfeier und dergleichen Unfug mehr. Seine Asche möge man gelegentlich in die Irische See streuen. Ohne viel Aufhebens.
    Zuletzt bat er sämtliche Lovells, sich von nun an in seinem Namen um das Grab seiner geliebten Ehefrau Mary Ceallagh Lovell zu kümmern, gestorben an einem blutigen Maitag im Jahre 1976 in Belfast. Dort, in Belfast, war auch ihr Grab.
    »Ein Baum«, sagte Gershon und lächelte mir zu, während ich Moon gerade schrieb, dass er Old Nialls altes Auto
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