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Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat

Titel: Wenn die Zeit aber nun ein Loch hat
Autoren: Tom Holt
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stolperte, sagte niemand einen Ton.
    Dann sahen sie es; es lag jetzt ausgestreckt vor ihnen wie ein aufgebauschter Himmel.
    »Ach, du dicke Scheiße!« stöhnte Pursuivant.
    »Damit eins klar ist«, fauchte der Antichrist und ließ vor Wut die Deichsel los, die ihm auf den gro-
    ßen Zeh knallte, »so etwas will ich ab sofort nicht mehr hören!
    Außerdem, finde ich«, fügte er niedergeschlagen hinzu, »sieht es doch gar nicht so schlimm aus.«
    »So?«
    »Ja.«
    »Na denn.«
    Papst Julius hatte es natürlich leicht gehabt. Da er de facto ein unheilbares zeitliches Paradoxon gewesen war, hatte er einfach aufgehört zu existieren.
    Schwein gehabt.
    Sie hatten bereits eine ganze Weile am Eingang gewartet, als endlich der Hausmeister mit drei großen 449
    Dosen blauer Farbe und sechs Pinseln in den Händen herauskam. Er grinste wie eine rissige Wand.
    »Ach, da sind ja die Jungs, die so gern das Blaue vom Himmel herunterlügen.«
    Die anderen beachteten ihn nicht.
    Mit einem unangenehmen Kichern, das noch am ehesten einem verstopften Abflußrohr glich, knallte er ihnen die Sachen vor die Füße und sagte: »Dann legt mal los, Jungs. Und paßt mir bloß auf die Stellen an den Rändern auf. Dort sitzt ziemlich viel Schim-mel. Wahrscheinlich müßt ihr den erst mal abkratzen und dann die Löcher zuspachteln, bevor ihr anfangen könnt.«
    Der Antichrist antwortete nicht. Irgendwo auf der anderen Seite dieses Anwesens vergnügte sich der Rest seiner einstigen Untergebenen mit freizeitähnlichen Arbeiten, indem sie hier und da mal etwas Glit-zerkram an einen Stern klebten und hin und wieder einen Roten Zwerg polierten. Falls ihm jemals wieder dieser verdammte de Nesle in die Hand fallen sollte, dann … Jedenfalls gäbe das ganz schön Ärger.
    Der Hausmeister übergab ihnen die Schlüssel zu dem winzigen Schuppen, der für die nächste … für eine lange Zeit ihr neues Zuhause sein sollte, und verschwand kichernd in der unendlichen Weite. Die Männer vom el standen reglos da und starrten mit offenen Mündern auf den Horizont; ähnlich wie der spanische Konquistador Cortes den Pazifik angegafft hätte, wenn ihm gerade gesagt worden wäre, er müs-se zu Fuß nach Hause gehen.
    450
    »Na, dann wollen wir mal«, unterbrach der Antichrist die ehrfürchtige Stille. Er nahm sich ein Taschentuch und hielt es zwischen den Zähnen fest, während er mit der Hand in die Ecken Knoten machte. Dann setzte er es sich auf den Kopf. »Je eher wir anfangen, desto …«, begann er, doch seine Stimme schien vor der schier unermeßlichen Weite zu kapitu-lieren, die sich vor ihnen ausbreitete. »Was soll’s?«
    Dann begannen er und die anderen damit, den Himmel zu streichen.
    Das Geschworenenzimmer des Vereinigten Weltge-richtshofs.
    »Und für wen ist das Hühnerklein?« rief der Obmann. Elfhundertachtundneunzig Geschworene schüttelten der Reihe nach den Kopf; dann stieß jemand den elfhundertneunundneunzigsten an, der die ganze Zeit aus dem Fenster geschaut hatte. Der Mann drehte sich um, sammelte sich und sagte:
    »Entschuldigung, aber ich war gerade mit meinen Gedanken ganz woanders.«
    »Gut, aber Sie sollten es essen, solange es noch heiß ist«, riet ihm der Obmann.
    Die Umgangsformen, die sich im Verlauf der letzten achtzig Jahre im Geschworenenzimmer entwickelt hatten, waren, gelinde gesagt, äußerst eigenartig.
    Nur Mr.
    Troon und Mrs. Cartagena stammten noch von der ursprünglichen Geschworenenliste, alle anderen ge-hörten bereits der zweiten, dritten oder sogar vierten 451
    Generation an. Falls Mr. Troon sterben sollte – und er lag bereits seit sechs Monaten im Koma, der alte Mistkerl –, wäre zwar niemand mehr da, der die ursprünglichen Zeugenaussagen gehört hatte (Mrs.
    Cartagena hatte nach eigenem Bekunden während des gesamten Verlaufs des Prozesses stets geschla-fen), doch war das völlig belanglos. Ob der Angeklagte schuldig oder unschuldig war, war mittlerweile sowieso eher eine Glaubensfrage, was allerdings weniger daran lag, daß die Geschworenen verschiedenen Glaubensgemeinschaften, sondern vielmehr verschiedenen Sippen angehörten.
    Die Hintergründe für die zunehmende Verhärtung der Positionen lassen keine einfache Erklärung zu; doch im Grunde fing alles damit an, daß jede Weiter-führung der Beratungen Zeitverschwendung war, solange sich die Macdonalds weigerten, neun ihrer ursprünglichen zwölf Sitze abzutreten, und die Batti-stas an ihrem Recht festhielten, sich als erste belegte Brötchen aussuchen zu
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