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Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht
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die Grube Nummer elf lag, in der Pop die meiste Zeit unter Tage arbeitete.
    Galloway stellte also die kraftvollen Beine dar, die den ganzen Ort bewegten. Daneben gab es die dürren, kleinen Arme der örtlichen Gruben, die allerdings nicht dasselbe Durchhaltevermögen wie Galloway besaßen. Die Howard-Grube befand sich in der Fish Hatchery Road, und dann waren da noch Brookside und Hope und Chickasaw, von denen aus eine Lore nach der anderen voll gepackt mit Kohle zum Hauptdepot rollte, wo sie über eine Schüttrinne direkt in die Güterwaggons geladen wurde. Im Jahr 1931 ging es diesen kleinen Bergwerken bereits miserabel, und die meisten mussten schon bald schließen. Galloway hingegen kämpfte weiter – mit weniger Kumpeln und geringerer Fördermenge.
    Meine Erinnerungen an jenen Sommer sind nicht allzu genau. Ich weiß noch, dass ein rothaariger Junge in meine Schule ging, dessen Vater im Jahr zuvor ums Leben gekommen war, weil ihn ein Stützbalken mehr oder weniger in der Mitte durchtrennt hatte, als ein Schacht einstürzte. Solche Geschichten machten mir Sorgen.
    Das Warrior Coal Field, das nördlich und westlich von Birmingham lag und sich über das ganze Walker County erstreckte, war reich an Kohle – ein Geschenk für einen Staat, der seinem Boden ansonsten vor allem Gemüse und Baumwolle abrang. Doch dieses Geschenk hatte einen Haken. Die Kohleadern waren meist dünn und brachen immer wieder ab, was die Förderung schwierig gestaltete. Zu viel Schiefer und Tonschiefer führten dazu, dass die Kohle mehrmals gereinigt werden musste, also mehr Kumpel benötigt wurden, die abbauten und aufluden sowie weitere Männer, die wuschen und aussortierten. Alles in allem hieß das: Zehn Männer in Alabama produzierten dieselbe Menge Kohle wie dreieinhalb in Indiana.
    Ich las diese Zahlen, nachdem ich weggezogen war, um aufs College zu gehen. Vermutlich wollte man Derartiges in Alabama nicht publik machen, da es ziemlich demoralisierend gewirkt hätte.
    Als Junge machte ich mir immer wieder große Sorgen und hatte vor allem Möglichen Angst, ohne es konkret benennen zu können. Es waren eher Schatten als voll entwickelte Ideen oder Bilder. Aber ich spürte instinktiv, dass wir immer nahe am Abgrund standen und dass sich nur Pop zwischen uns und dem Absturz befand. Ich ahnte, dass wir ohne ihn in ein schreckliches Loch hinunterstürzen würden, über das sich die Leute nur flüsternd unterhielten.
    Es ereigneten sich immer wieder Unfälle. Ich kann mich noch erinnern, als Pop sich seinen Kieferknochen brach und er auf dem rechten Auge kaum noch sehen konnte. Außerdem hatte er sich einmal beide Arme, ein Bein und beide Fußknöchel gebrochen sowie seinen Rücken gezerrt. Dieser Unfall geschah noch vor meiner Geburt, und ich hätte es wohl nie erfahren, wenn sich Mama nicht manchmal nach seinen chronischen Schmerzen erkundigt hätte. Er selbst verlor niemals ein einziges Wort darüber und tat so, als wäre er völlig gesund und munter.
    Aber ich wusste: Die Wahrscheinlichkeit war recht groß, dass er eines Abends nicht mehr durch unsere Tür treten würde, durch die er am Morgen zur Grube aufgebrochen war. Und dann würde ich der Mann im Haus sein. Einige Jungen in meinem Alter arbeiteten bereits in den Gruben. Pop erlaubte mir das nicht. Er meinte, ich solle lieber in die Schule gehen.
    Ich hatte keine Ahnung, wie ich das Geld für die Familie verdienen sollte, falls Pop tatsächlich einmal etwas zustoßen würde. Man musste elf oder zwölf sein, um Zeitungen austragen zu dürfen. Ich wäre vermutlich an ein wenig Geld gekommen, wenn ich die Regale in Galloways Kolonialwarengeschäft gefüllt oder Bestellungen ausgeliefert hätte. Mit zwölf konnte ich bereits in den Gruben arbeiten, wenn ich ein wenig schwindelte, was mein Alter betraf. Aber das hätte nicht gereicht. Nicht wenn Pop schon vorher ums Leben gekommen wäre. Ich überlegte, dass Virgie eine Stelle als Lehrerin irgendwo draußen auf dem Land suchen könnte, vielleicht sogar ohne vorher das Lehrer-Kollegium besuchen zu müssen. Tess war noch zu klein, um irgendetwas zu machen. Niemand würde ein kleines Mädchen anstellen.
    Wir hatten eine kleine Farm und Milch und Hühner. Das würde uns immer irgendwie ernähren. Vielleicht müssten wir auf den Strom verzichten, und wir konnten natürlich immer noch das Automobil verkaufen.
    Pop ist niemals etwas zugestoßen – jedenfalls nichts Dramatisches oder Unerwartetes oder auch Tragisches. Aber dieses Gefühl,
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