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Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht
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konnte, die ihr über die Wangen gelaufen waren. Aber ich sagte nichts.
    Sie schaute sich um und sah dann mich und ihr leeres Kopfkissen an und wiederholte ohne ersichtlichen Grund: »Ich bin aus dem Bett gefallen.«
    Mein Mund begann zu zucken. Ihrer auch. Schon bald kicherten wir so heftig, dass uns die Tränen über die Wangen liefen. Tess kletterte wieder ins Bett zurück, und wir rangen beide um Luft.
    Schließlich beruhigten wir uns, deckten uns wieder zu und vergruben uns in den Federn. Ich spürte, wie mich der Schlaf nach unten zog. »Ich hab geträumt, dass ich mit ihm im Brunnen bin«, flüsterte sie. Doch ehe ich antworten konnte, waren wir beide eingeschlafen.
     
    Albert
    Es war folgendermaßen: Man musste sich ziemlich anstrengen, um den Deckel von dem Brunnen zu hieven. Er bestand aus einem viereckigen Stück soliden Holzes, das von meinem Ellbogen bis zu den Fingerspitzen reichte – die Öffnung war gerade breit genug, um den Eimer hinunterzulassen –, und saß fest an seinem Platz. Ich hatte ihn aus der Mitte der Brunnenabdeckung gesägt, ehe ich diese an die hölzernen Seiten genagelt hatte. So passte der Deckel genau. Durch den Regen, der über die Jahre darauf geprasselt war, hatte sich der Deckel verzogen, so dass es jetzt schwerer war, ihn herauszubekommen, vor allem an schwülen Tagen. Außerdem bestand er aus dickem Kiefernholz und war so unhandlich, dass Leta keuchte, wenn sie damit hantierte – obwohl sie für eine Frau recht kräftig war. Man musste wissen, wie man ihn anpackte, wo man die Finger darunterschieben musste, um ihn dann in einem Schwung hochzuheben. All das ließ mich vermuten, dass nur jemand, der uns dabei zugesehen hatte und deshalb wusste, wie es funktionierte, in der Lage gewesen sein konnte, ihn auf einmal herunterzuwuchten. Es konnte sich also um keine spontane Entscheidung gehandelt haben.
     
    Tess
    Mir fehlte mein Brunnen. In unserem Haus gab es nicht viel Platz für fünf Leute, selbst wenn einer von ihnen so klein war wie Jack. Vorne befand sich auf einer Seite das Wohnzimmer mit einer Tür, die auf die Veranda hinausführte. Das Zimmer, in dem Virgie und ich schliefen, lag auf der gegenüberliegenden Seite mit einer weiteren Tür auf die Veranda. Unser Zimmer war mit dem Schlafzimmer von Mama und Papa durch eine große Öffnung in der Wand verbunden – von unseren Kissen aus konnten wir gerade noch ihre Köpfe sehen, die sich nachts klein und reglos gegen das große verschnörkelte Kopfende des Bettes abhoben. Und von ihrem Schlafzimmer ging das Esszimmer ab, das wiederum mit der Küche verbunden war. Fünf Zimmer für fünf Personen. Die zwei offenen Feuerstellen – eine in jedem der Schlafzimmer – teilten sich einen Kamin. Im Winter schlossen wir die Tür, damit es in den Schlafzimmern warm blieb. Wärme soll man nicht verschwenden, meinte Mama, wenn sie wieder einmal durchs Haus lief und die Türen zuzog, die an den Rahmen kratzten, ehe sie ins Schloss fielen. Schiii-schankkk . Jack hatte sein eigenes Bett, weil er ein Junge war, aber es war nur ein Lager neben dem Feuer. Wir Mädchen hatten ein Federbett wie Mama und Papa. Die Federn waren nicht von unseren eigenen Hühnern; Großvater Tobin hatte die Decke für Mama zur Hochzeit gestopft. Mir taten die nackten Hennen leid, denen kalt gewesen sein musste und die es sich bestimmt gern zusammen mit uns in ihren gestohlenen Kleidern gemütlich gemacht hätten.
    Aber trotzdem: Jack hatte sein eigenes Bett. Mama hatte ihre Rosenbüsche. Virgie ging oft und lange im Wald spazieren. Papa hatte das Bergwerk, auch wenn er dort eigentlich nicht für sich allein sein konnte und manchmal Wände einstürzten und viele der Männer ums Leben kamen. Aber er hatte trotzdem einen Ort, der ganz ihm gehörte.
    Und ich hatte meinen Brunnen.
    Der Brunnen war im Grunde nur ein mit Planken verkleidetes Wasserloch, ein Teil eines Flusses, den man behalten und beobachten konnte – wie Junikäfer an einer Schnur. Unter der Erde lief der Fluss in den Brunnen, verweilte dort einen Moment und floss dann weiter. Aber man konnte jederzeit einen Eimer Wasser heraufholen, wenn man gerade Lust dazu hatte. Nach Sonnenuntergang war es auf der hinteren Veranda still und verschwiegen, denn sie war von Bäumen umgeben. Die Geräusche der Frösche und Grillen erinnerten mich daran, wie ich einmal zu lange beim Schwimmen gewesen war und nach Hause zum Abendessen rennen musste. Natürlich konnte ich nicht im Brunnenwasser schwimmen, aber
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