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Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht
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Der Kaffee war schwarz wie die Nacht und wirkte so undurchdringlich, dass es unmöglich zu sein schien, einen Löffel hineinzustecken.
    »Muss wie Kohle schmecken«, murmelte ich vor mich hin und verstopfte die Tülle mit einem Stückchen Stoff, ehe ich die Kanne wieder auf den Herd zurückstellte, um den Kaffee warm zu halten.
    »Der Kaffee?« Er nahm einen Schluck, lächelte und schloss die Augen, während er sich zurücklehnte. »Nein, Ma’am. Schmeckt wie Tageslicht.«
    Seitdem ich zwölf war, konnte ich Fladenbrote in fünf Minuten machen. Meine älteste Schwester brachte mir bei, wie es ging, und ich brauchte eine Weile, bis ich ein Gefühl dafür entwickelte. Man spürt mit den Fingerspitzen, ob ein Teig richtig ist oder ob man noch mehr Milch oder etwas Mehl hinzugeben muss. Er muss so weich wie die Wange eines Kindes sein, aber auf keinen Fall so trocken, dass er reißt. Ich sah nicht mal hin, wenn ich gleichzeitig Mehl und Milch hineinschüttete oder eine Prise Backpulver, Salz und Butterschmalz dazutat.
    Dann warf ich die Fladen in eine Eisenpfanne und stellte sie in den Ofen. Zehn Minuten lang. In eine andere Pfanne kamen einige Scheiben Schinken. Die Hudsons hatten uns einen Teil ihres Schweins gebracht. Viel war nicht mehr davon übrig, aber es reichte, um jedem noch etwas Fleisch zu seinem Fladen zu legen. Ein Glas mit Birnenmarmelade auf den Tisch, ebenso ein Stück frische Butter. Die Kinder schmierten sie sich jetzt, seitdem sie die Butter selbst rühren mussten, nicht mehr so großzügig wie früher aufs Brot, deshalb reichte sie länger. Hinten aus dem Schrank holte ich ein Glas Honig. Albert sah es, und seine Augen, blau wie die Eier der Rotkehlchen, begannen zu leuchten.
    »Ich dachte, wir haben keinen mehr.«
    »Das hab ich nur vor den Kindern behauptet.«
    Honig war zu wertvoll, als dass sie sich bei jedem Stück gerösteten Brots von Kopf bis Fuß damit bekleckerten. Albert liebte Honig.
    Ich setzte mich zu ihm, ohne dass wir uns berührt hätten, und er nippte an seinem Kaffee. »Hab gehört, dass Henry Harkens Junge ein Auge auf Virgie geworfen hat.«
    »Haben das nicht alle?«, entgegnete er. »Man könnt fast glauben, sie schwebt über den Boden. Bildhübsch, unser Mädchen.«
    Wir sprachen fast nie darüber, wie schön Virgie war – einerseits, weil wir nicht wollten, dass sich Tess weniger hübsch fühlte, und andererseits weil sich Virgie nichts darauf einbilden sollte. Manchmal allerdings war es schwer, das Thema zu übergehen, vor allem jetzt, als sie älter wurde. Ich warf ihr oft einen Blick zu, um sie zu bitten, mir etwas zu holen, und ihr Anblick raubte mir jedes Mal wieder den Atem – wie Feuerwerk oder Schnee. Sie würde niemals in eine Stadt passen, in der alles mit einer Schicht schwarzen Rußes überzogen war, so viel war klar.
    »Bald musst du die Jungs mit einem Stock vertreiben«, meinte ich.
    »Wahrscheinlich.«
    Ich sah Albert mit seinen schönen Augen, dem blassen Gesicht mit den Falten, dem das Sonnenlicht fehlte, und dem schiefen Kinn an, das nach dem Bruch nie mehr richtig zusammengewachsen war. Dann betrachtete ich meine eigenen Hände, die vom vielen Spülen und Waschen immer trocken und rissig waren, und ich dachte an mein erschöpftes Gesicht, ledrig von zu viel Sonne.
    »Wie haben wir sie so hingekriegt?«, fragte ich, wobei ich eher mit mir selbst als mit Albert redete.
    »Sie sieht aus wie du früher«, erwiderte er, ohne zu zögern, sprach aber in seinen Becher hinein. »Überrascht mich nicht.«
    Ich zeigte auf sein rechtes Auge, das durch ein herumfliegendes Stückchen Stein bei einem Grubeneinsturz verletzt worden war und mit dem er seitdem nicht mehr klar sehen konnte. Es wirkte ganz normal, aber mit jedem Jahr wurde es schlechter. »Dich lässt nicht nur dein Augenlicht, sondern auch dein Gedächtnis im Stich.« Ich stand auf, um zu sehen, ob die Mädchen wach waren, und gab ihm dann einen raschen Kuss auf die Stirn. Er lächelte.
    Ich holte die Fladen heraus und legte ihm mit der Gabel zwei auf den Teller. Er verschmierte die Butter in einer Pfütze aus Honig, der auf seinen Teller tropfte. Dann schob er eine Gabel voll von dem goldenen Saft auf einen halben Fladen, und ich begann die Teller für die Kinder zu decken, ehe ich die restlichen Fladen in die Mitte des Tisches legte. Um sie warm zu halten, legte ich ein Tuch darüber.
    »Isst du nicht mit mir zusammen?«, wollte Albert wissen.
    »Ich ess mit den Kindern«, antwortete ich.
    Der Hahn
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