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Wenn Die Nacht Anbricht

Titel: Wenn Die Nacht Anbricht
Autoren: authors_sort
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Spinnennetz aus, so dass man fast nicht glauben konnte, wie solide sie waren. Die Sortierer und Wäscher bearbeiteten die Kohle, die auf rumpelnden Bändern an ihnen vorbeifuhr. Die gute Kohle wanderte in der Verladestation weiter nach oben, wo sie erst einmal gelagert wurde. Später wurde sie dann auf Kohlewagen geladen, die zum Depot fuhren. Nichts als Staub und Rauch und Holz und Metall, nichts Grünes oder Wachsendes war zu sehen. Nichts Lebendiges außer den Männern. Und auch sie waren nur ein Teil dieser riesigen Maschine.
    Gemeinsam mit uns traf die gesamte Tagschicht ein. Einige der Kumpel sahen mich seltsam an, weil ich Jonah in meinem Automobil mitgenommen hatte. Meiner Meinung nach war nichts dabei, dass ich einem Mann anbot, ihn mit zur Arbeit zu nehmen, wenn ich auf der Straße an ihm vorbeifuhr. Es wäre schwieriger gewesen, wenn ich zu ihm nach Hause gefahren und ihn dort abgeholt hätte. Ich war nur einmal bei Jonah zu Hause gewesen, als sein Erstgeborener eines Nachts in seiner Krippe starb. Das war das einzige Mal, dass ich in eines dieser aus Brettern zusammengenagelten Häuser der Schwarzen kam. Es war eine Schande, dass Jonah so leben musste. Er war ein guter Mann, ein guter Arbeiter und ein guter Familienvater. Ich befahl meinen Kindern, ihn Mr. Benton zu nennen und nicht mit seinem Vornamen anzusprechen, als wäre er ein kleiner Junge, der sich noch nie rasiert hatte.
    Jonah und ich sprachen kein Wort, als wir aus dem Wagen kletterten. Er nickte mir zu und ging dann seiner Wege, während ich zuerst einmal meine Beine aus der Tür streckte und mir meine Grubenkluft anzog. Ich ließ meinen Rücken mehrmals knacksen, als ich aufstand, und versuchte, mein Rückgrat zu lockern.
    Schließlich holte ich meine Kappe aus dem Automobil und nahm die Lampe ab. Ich spuckte mehrmals in die obere Kammer, ehe ich die Flasche mit Karbid vom Gürtel zog und etwas davon in den unteren Behälter der Lampe goss. Das Öl und der Speichel vermengten sich und ließen das Gas entstehen, das sich dann in der Oberfläche brach. Die alten Kerosinlampen hatten noch wie ein Betrunkener hin und her geschwankt. Eine Karbidflamme hingegen brannte ruhig und beständig.
    Die Bosse wollten uns weismachen, dass wir an etwas Besonderem teilhatten – bei der Galloway Nummer elf die Welt auf unseren Schultern trugen, täglich mit vierhundert Mann in die Eingeweide der Erde fuhren und Galloway-Kohle fördern durften. Eines der größten Kohlevorkommen der Welt hier bei uns in Carbon Hill, meinten sie. Es hieß immer, dass Alabama auch noch liefern würde, wenn in den Bergwerken von Pennsylvania und Virginia schon lange alles abgebaut sein würde. Es war schwer, sich mit dem wenigen Licht meiner Lampe die Zukunft vorzustellen.
     
    Tess
    Kohlestückchen lagen überall wie Käfer auf dem Erdboden, wie glänzende schwarze Insektenpanzer. Meine Haare hatten dieselbe Farbe, waren nicht weizenblond wie die von Virgie oder silbergrau wie die von Papa oder braun wie die von Mama. Sie waren kohlefarben.
    In unserem Hof und unserem Garten gab es keine Kohle, außer unten bei den Hühnern. Die Tiere waren alle in einer Linie den Hügel hinunter platziert worden: zuerst kamen die Hühner, dann Moses, dann Pferd und dann die stinkigen Schweine. Danach das Plumpsklo. Und dann der Fluss. Im Garten war es so ordentlich und sauber wie drinnen im Haus. Der Hof war rein und gefegt – wie ein brauner stiller Teich mit Rosenbuschinseln. Hier war es kaum jemals staubig, weil Mama jeden Tag kehrte. Wenn es regnete, schimmerte der Boden wie Erdnussbutter.
    Wir kamen aus der Schule zurück, und Virgie eilte sofort zu Mama, um sie zu fragen, ob sie ihr helfen könne. Ich umarmte Mama, lief dann schnurstracks zum Wärmefach im Ofen und machte die Tür einen Spalt weit auf. Ich wollte sehen, was Mama für uns hatte. Es waren Fladen, weich und warm. Zum Frühstück oder zum Mittagessen machte sie immer ein paar mehr. Nach der Schule waren sie am leckersten, vor allem wenn man sie aufgerissen und Birnenmarmelade hineingestrichen hatte. Auf dem Weg zum Plumpsklo leckte ich mir noch meine Finger ab, während ich einen weiten Bogen um Moses machte, die oft mit den Hufen scharrte, um mir einen Tritt zu geben, oder ihre Zähne an einem Pfosten schärfte, um dann nach mir zu schnappen. Weder Mama noch Papa hörten auf mich, aber ich glaubte, dass diese Kuh voll Hass und Bitterkeit war. Virgie und ich, wir beide wussten das. Vielleicht war sie früher einmal eine
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