Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn der Golem erwacht

Wenn der Golem erwacht

Titel: Wenn der Golem erwacht
Autoren: Jörg Kastner
Vom Netzwerk:
war. Vielleicht war es einfach nur die romantische Vorstellung eines verwirrten Gehirns, aber mir gefiel der Gedanke, dass die verführerische Ira treu Wache am Bett ihres hoffnungslosen Patienten hielt.
    Hoffnungslos?
    Nein, nicht ganz, denn ich hatte einen Plan …
    »Schwester!«
    Sie fuhr zusammen, wie aus einem Halbschlaf hochgeschreckt, und sah über den Rand ihrer Zeitschrift. »Ja? Warum schlafen Sie nicht?«
    »Weil ich Ihnen etwas Wichtiges sagen muss.«
    Eine steile Falte zwischen ihren Augen zeugte von ihrer Verwunderung. »Was denn?«
    »Kommen Sie näher zu mir, Ira! Ich möchte nicht, dass uns jemand hört.«
    Zögernd kam sie meiner Bitte nach und zwinkerte dabei den Schlaf aus ihren schönen Augen. Wäre sie nicht noch vom Halbschlaf benommen gewessen, hätte sie vielleicht anders reagiert.
    Ich flüsterte ihr etwas zu, absichtlich so leise, dass sie sich tief über mich beugen musste, um meine Worte zu verstehen.
    »Was sagen Sie?«, fragte sie, während ihre Locken mein Gesicht streichelten.
    »Dass Sie eine sehr attraktive Frau sind und wir diese Nacht in trauter Zweisamkeit nicht ungenutzt verstreichen lassen sollten!«
    Ich wartete den überraschten Ausdruck in ihrem Gesicht nicht ab. Schon biss ich zu, klemmte einen dicken Lockenstrang zwischen meinen Zähnen fest und warf meinen Kopf mit einer ruckartigen Bewegung zurück aufs Kissen.
    Halb vor Überraschung, halb vor Schmerz, stieß Ira einen spitzen Laut aus. Sie beugte sich weit vor, um den ziehenden Schmerz ihres festgeklemmtes Haars zu lindern, verlor das Gleichgewicht und fiel auf mein Bett. Ein Körper mit sehr fraulichen Formen presste sich gegen meinen. Ich empfand ihre Nähe, ihre Wärme und ihren Duft als sehr angenehm. Den Lockenstrang noch immer mit den Zähnen fest haltend, drehte ich meinen Kopf zur Seite, als wollte ich sie zwingen, der Bewegung nachzugeben und ihre Wange an meiner zu reiben.
    Ihre Hände tasteten nach meinem Mund und befreiten das eingeklemmte Haar. Schwankend erhob Ira sich und bedachte mich mit einem Blick, in dem sich Irritation und Tadel mischten.
    »Warum so widerspenstig?«, grinste ich frech. »Nach meinem Spiegelbild zu urteilen muss ich auf Frauen recht attraktiv wirken. Oder sind Sie vom anderen Ufer?«
    Sie strich das in Unordnung geratene Haar aus ihrem Gesicht. Ihr Atem ging schnell und ihr Busen hob und senkte sich in kurzer Folge.
    »Ich kann nur hoffen, dass Ihr Gedächtnis bald wieder so gut funktioniert wie Ihre Libido.«
    »Sie haben meine Libido noch gar nicht getestet.« Ich sprach im Tonfall eines zutiefst Enttäuschten und warf ihr einen flehenden Blick zu. »Sie scheinen müde zu sein, Ira. Legen Sie sich doch einfach zu mir!«
    Sie hatte ihre Überraschung überwunden, und ein kaltes Lächeln trat auf ihre verlockenden Lippen. »Sex mit Abhängigen ist strafbar. Sie sollten lieber versuchen zu schlafen!«
    »Wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben. Dank der Fesseln ist mir sogar die Handarbeit verwehrt.«
    »Dann bin ich Dr. Ambeus für Ihre Fesselung doppelt dankbar.«
    Ihr weißes Kleid glatt streichend, kehrte sie auf ihren Platz zurück. Sie rückte den Stuhl so zurecht, dass sie mir halb den Rücken zuwandte. Indem sie den Augenkontakt vermied, hoffte sie wohl, mein Interesse an ihr würde abkühlen. Sie konnte nicht wissen, dass ich mein Ziel längst erreicht hatte.
    Der Schlüssel zur Freiheit lag am Rand meines Bettes, dicht an der Kante, konnte jeden Augenblick herunterfallen. Ein blaues Plastikröhrchen, maximal vierzehn Zentimeter lang und einen Zentimeter im Durchmesser, sich am unteren Ende verjüngend und oben in einem abgerundeten Druckkknopf auslaufend. Unterhalb des Druckknopfes saß eine vier bis fünf Zentimeter lange Klemme, ebenfalls aus Plastik. In der Mitte der zweigeteilten Röhre markierte ein winziger Metallring die Stelle, wo Ober- und Unterhälfte zusammengeschraubt waren. Je länger ich darauf starrte, desto deutlicher stachen die weißen Druckbuchstaben durch das Dämmerlicht: DR. RÖSLER MEDIC GMBH – MEDIZI-NISCHE GERÄTE.
    Nur ein billiges Werbegeschenk, ein Plastikkugelschreiber. Aber für mich das lang ersehnte Werkzeug, dessentwegen ich den Überfall auf Ira unternommen hatte. Der Stift hatte in einer Brusttasche ihres Kleids gesteckt.
    Ich musste vorsichtig sein, sehr vorsichtig. Eine falsche Regung, und der Kugelschreiber konnte vom Bett rutschen. Damit wäre er außerhalb meiner Reichweite gewesen, einen Meter unter mir. Oder auf dem Mars,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher