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Wenn der Golem erwacht

Wenn der Golem erwacht

Titel: Wenn der Golem erwacht
Autoren: Jörg Kastner
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Krankenzimmer betrat. Es war ein weitaus angenehmeres Krankenzimmer als alle, die ich in letzter Zeit erlebt hatte. Es gab eine große Fensterfront, durch die ich auf einen Park hinausblickte, und in der Ferne reckte sich der Fernsehturm am Alex in den blauen Himmel von Berlin.
    In ihrem dunklen Nadelstreifenanzug sah Rica sehr elegant aus und gleichzeitig verführerisch. Mit tadelndem Gesichtsausdruck trat sie an mein Bett. »Du schaust doch nicht heimlich Pornos, wenn die Oberschwester nicht hinsieht?«
    Ich grinste sie an. »Hier sind nur Arztfilme erlaubt.«
    Rica setzte sich auf den Rand meines Bettes und küsste mich auf den Mund. »Was macht die Schulter?«
    »Heilt so vor sich hin.«
    »Sehr gut.« Sie holte etwas aus ihrer schwarzen Umhängetasche und stellte es auf den Nachttisch, eine dunkle Flasche ohne Etikett. »Kommt von Hugo. Er wünscht dir gute Besserung und du sollst es vor den Schwestern verbergen.«
    »Ist es was Selbstgebranntes?«
    »Vermutlich.«
    »Schön, dass du gekommen bist«, sagte ich. »Du musst viel um die Ohren haben.«
    »Ich bin gefragt wie nie. Seitdem wir die Akten aus dem Koffer zusammen mit Hugos Unterlagen über Projekt Balmung und Operation Golem abdrucken, steigt die Auflage des ›Bärliner‹ in astronomische Höhen. Und ich gebe fleißig Interviews in Funk und Fernsehen, mindestens schon fünf Dutzend. Aber nicht heute.«
    »Wieso nicht?«
    »Ich komme gerade von Max' Beisetzung.«
    Ich schämte mich, das vergessen zu haben, und dankte Rica dafür, dass sie alles organisiert hatte.
    »Max hat ihr Leben geopfert, um dich zu retten, Arved. Ich wünschte, ich hätte mehr für sie tun können.«
    »Mein Bruder hat viele Menschen auf dem Gewissen«, sagte ich leise und dachte nicht nur an Max. Man hatte herausgefunden, dass auch der Mord an Kurtchen auf Einars Konto ging. Der Trucker hatte in einer Kneipe von mir erzählt, und Spitzel hatten das meinem Bruder zugetragen.
    »Mach nicht so eine Trauermiene!«, fuhr Rica mich an. »Es gibt auch was Erfreuliches: Nachrichten aus dem Kabinett. Heute hat Bundeskanzler Zander das Gesetz zur Neuordnung der neurotechnologischen Forschung endgültig zu den Akten gelegt. Er hat vor der Presse erklärt, dass die alte Gesetzeslage, die eine größere Überwachung der Forschung zulässt, bestehen bleibt.«
    »Das klingt ja wie ein Sieg auf der ganzen Linie.«
    »Sagen wir lieber wie ein Sieg auf Zeit. Wenn die Wissenschaft etwas zu erforschen und die Industrie etwas zu vermarkten hat, lässt es sich nicht aufhalten. Neuer Kanzler, neues Glück.«
    Ich schluckte. »Dann war alles umsonst?«
    »Nicht ganz. Zumindest die Oberhaie von Global Standards werden nicht den großen Reibach machen. Deren Ruf ist auf Jahre ruiniert. Deiner dagegen steht hoch im Kurs. Es heißt, du sollst wegen deiner Verdienste die SGB neu aufbauen und leiten.«
    »Wer sagt das?«
    »Noch ist es nur ein Gerücht, aber es kommt aus dem Kanzleramt.«
    »Warten wir's ab«, sagte ich. »Die werden sich noch überlegen, ob sie einen halben Zombie einstellen.«
    Ricas eben noch heiteres Gesicht verriet Besorgnis, als sie meinen verbundenen Kopf betrachtete. »Was sagen die Ärzte?«
    »Sie sagen, dass sie lieber die Finger davon lassen wollen. Was immer unser Freund Ambeus/Baumes mir ins Gehirn gepflanzt hat, um mich mit diesen Golem-Fähigkeiten auszustatten, es ist so gut verankert, dass eine Entfernung mich zum völligen Idioten machen könnte.«
    »Sobald Ambeus gefunden wird und man seine Unterlagen sicherstellt, kann man dir bestimmt helfen.«
    »Sagen wir vielleicht helfen und falls Ambeus gefunden wird. Der Kerl scheint neun Leben zu haben. Sein Aufenthaltsort ist ebenso unbekannt wie meine Herkunft. Ich hege mehr Hoffnung, über Letzteres etwas herauszufinden als über den Professor.«
    »Stimmt wohl«, gab Rica leicht zerknirscht zu. »Knaup hat zwar verraten, wohin man dich nach unserem Abenteuer in der Uckermark geschafft hat, aber die Vögelchen Ambeus und Ira waren längst ausgeflogen.«
    Mit einem wohl etwas gezwungenen Lächeln sagte ich: »Dann werde ich auch in Zukunft Dinge sehen, die anderen verborgen bleiben.«
    Rica lächelte kokett. »Ich bekomme halt einen ganz besonderen Mann!«
    »Was höre ich da?«
    »Aber das habe ich dir doch angedroht: Wenn ich dir ein drittes Mal den Arsch rette, musst du mich heiraten!«
    »Ihr kamt reichlich spät«, lästerte ich. »Ich dachte schon, dass Hugos Verkabelung nicht funktioniert hat.«
    »Wir haben alles
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